Der tönende Kleiderständer

■ Nina Hagen hielt Hof in der Halle in Berlin-Weißensee

Einige hatten ihre Kleinfamilien im Stich gelassen, andere hatten die verschmuddelte WG- Küche im selben Zustand belassen und den Putzdienst quittiert, hatten ihr Designerbrillengestell ein letztes Mal blankpoliert und sich auf den Weg gemacht. Die Straßenbahnlinie 24 spuckte sie dann an der Endhaltestelle in Weißensee aus, und von dort schlugen sie sich durch. Enge, vollgeparkte Gassen entlang, das Überqueren eines gefährlich dunklen Bahndamms konnte sie nicht schrecken. Landen sollten sie schließlich in der Halle. Dort erwartete sie eine Atmosphäre wie aus Mad Max III, der ganze Raum eingerahmt von einer Galerie, vollgepackt mit Menschen, durch die indirekte Beleuchtung von hinten angestrahlt. Das hat sie schon ein wenig erschrocken, so mitten in der Arena der Donnerkuppel.

Sie hatten in den Tagen zuvor Ninas letzte Platte Street gehört, den netten Dancegrooves gelauscht und auch schon mal verschämt unterm Küchentisch mit dem Fuß gewippt. Aber nicht zu sehr, damit die so mühsam aufgeschäumte Milch nicht vom Cappuccino schwappt. Sie hatten wohlwollend geprüft, ob Berlin ist dufte das Idealsche Berlin Berlin von der Spitzenposition ihrer ewigen Heimatsonghitliste ablösen dürfte und hatten sich dann entschlossen, doch lieber noch mal die alten Platten aufzulegen. Das mit der Tanzerei war noch nie so ihr Ding gewesen, ganz hatten sie nie verstanden, warum die Hagen plötzlich nicht mehr die schöne alte Rockschaffe spielte.

Als hätte Nina geahnt, was ihnen wirklich am Herzen liegt, fing sie sofort mit TV-Glotzer an und ließ die störenden Tanzbeats gleich völlig weg. Das hat sie dann besonders gefreut, weil das Lied mochten sie schon immer sehr. Beim African Reggae regte sich dann auch ein zartes Zucken unterhalb der Gürtellinie, dem sich bei den folgenden Liedern aber dann kaum noch einer hinzugeben wagte. Die Rocksongs hatten sie ja schon immer eher gemocht und damals gehörte Rangehn schließlich auch zu jeder Fete. Nicht nur wegen des Textes, sondern auch, weil man dazu klasse expressiv tanzen konnte, wenn man denn mal tanzte.

Der Sound ist richtig gut. Wenn sie so hoch singt, wie sie's kann, fällt ihnen immer der nächste Termin beim Zahnarzt ein. Da soll ihnen ein Implantat verpaßt werden, weil sie sich jetzt endlich entschlossen haben, die Zahnlücke zumachen zu lassen. Eigentlich war die ja ganz schick, hatte so was Streetfightermäßiges, aber da verschiebt sich halt das ganze Gebiß, und das ist dann ja auch blöde.

Erfurt und Gera finden sie von der neuen Platte am besten. Einfach, weil sächsisch immer lustig und die Ostwestproblematik ja auch so aktuell ist. Die Melodie ist ja auch so hübsch, da kann man mal mitsummen. Dann singt sie noch dieses alte Lied, das Hold me, Master oder so heißt, das singt sie so ganz ohne Kiekser, also so rockröhren kann sie auch. Das ist schon toll, was die so mit ihrer Stimme machen kann. Manchmal übertreibt sie's ja auch mit der Vokalakrobatik. Wenn sie zu sich ehrlich sind, konnten sie immer nur eine Plattenseite am Stück ertragen, und so ein Konzert ist halt etwas länger.

Die Band spielt wirklich einen guten Rock, so richtig mit Dampf, wie früher halt. Das hat ihnen dann so richtig gut gefallen. Nur die Gitarrensoli kamen ein wenig zu kurz. Aber die dienten ja eh nur dazu, der Hagen Zeit zu geben, hinter der Bühne zu verschwinden und sich einen neuen Fummel und eine andersfarbige Perücke überzuziehen.

Als es dann vorbei war, sind sie rausgekommen und haben festgestellt, daß die Umgebung wohl ein Industriegebiet ist. Dann haben sie überlegt, ob sie vielleicht zum Prenzlauer Berg fahren sollten, weil sie letztens in einer dieser Zeitschriften einen Bericht über ein paar Kneipen gelesen hatten. Aber irgendwie war es dann schon so spät und eh nicht klar, wohin die Straßenbahn nun eigentlich fährt. Also haben sie sich ein Taxi genommen und sind dann wieder in die Kneipe an der Ecke gegangen, da wo sie immer sitzen. Ein paar Leute haben sie auch getroffen. Denen haben sie vom Konzert erzählt, aber so richtig interessiert hat's auch niemanden. Nächste Woche wollen sie ein paar Tage nach Hiddensee fahren, weil es da um die Jahreszeit so wildromantisch sein soll. Sie überlegen noch, ob sie die Kamera mitnehmen sollen und was bei so einem Wetter besser kommt: Schwarzweiß oder Farbe? Thomas Winkler

Tourneedaten: 10.3. Erlangen, 11.3. Erfurt