: Es gibt keine Beweise...-betr.: "Ich will zu den stärksten gehören" (Reinhard Mohr zu Brigitte Heinrich), taz vom 29.2.92
betr.: „Ich will zu den stärksten gehören“ (Reinhard Mohr zu Brigitte Heinrich), taz vom 29.2.92
„Es gibt keine Beweise, aufgrund ihrer Lebensführung muß sie jedoch die Täterin gewesen sein.“ Dies war der Tenor des Karlruher Gerichtes — hinreichend, um Brigitte Heinrich in den Knast zu bringen. Jetzt hat auch die taz keine Beweise, stattdessen den scharfsinnigen Reinhard Mohr, der das linke Über-Ich von Brigitte ausgemacht haben will, welches sie in die Arme der Stasi getrieben hätte. Da fehlende Beweise einen Rufmord erleichtern, heißt es für Reinhard Mohr, flink ans Werk zu gehen.
Es kommt nicht von ungefähr, daß Mohr die Psychoanalyse strapaziert, führt sie doch geradewegs zu Mohrs ureigenen Problemen! Brigitte Heinrich gehörte zu den Menschen, die nach intensiver theoretischer Arbeit ihre Glaubwürdigkeit durch konkretes politisches Handeln gewonnen haben. Das mag für andere eine indirekte Aufforderung gewesen sein, sich zu personalisieren und eine Provokation für einen, der sich selbstverliebt mit Sprechblasen begnügt. [...]
Wie wenig Mohr Brigitte gekannt hat, von Verstehen kann sowieso keine Rede sein, zeigt seine Wiedergabe eines Gespräches mit ihr im Jahre 1982, in dem sie ihre körperliche und psychische Erschöpfung erwähnt haben soll, was bei Mohr eine Verhaltensstörung hervorrief, „weil ich mit dieser unmittelbaren Hilflosigkeit bislang nicht konfrontiert war.“ Schon Jahre vorher konnte jede/r die/der Kontakt mit Brigitte hielt, das unsägliche Leid erfahren, das ihr Berufs- und Reiseverbot sowie das jahrelangen Warten auf den anstehenden Prozeß gebracht hatten. Sich nicht zu unterwerfen, Widerstandskräfte zu bewahren und gleichzeitig durch ihren Gesundheitszustand immer mehr an Grenzen zu stoßen: ein alltäglicher Kampf. Sie bewegte sich deshalb auch nicht mehr, wie Mohr schreibt, in der Frankfurter linken Szene. Das allein ist auch der Grund, weshalb sie immer isolierter wurde und nicht, wie es unterschwelig bei Mohr anklingt, daß man Distanz zu ihr wahrte, weil man den Spitzel schon gerochen hätte oder Brigitte sich als Verräterin bedeckt halten wollte. Wie es scheint, hätte jedoch Reinhard Mohr keine Schwierigkeiten mit Verrat, wenn er dunkel, wichtigtuerisch raunt, der große Geheimnisträger der Beweise zu sein, die dem Karlsruher Gericht gefehlt haben. Die moralische Bankrotterklärung, die Mohr der Linken zuschreibt, fällt auf ihn selbst zurück.
Nach Wallraff, Brigitte Heinrich, wer kommt dann? Nach jahrelanger, zum Teil leider erfolgreichen Strategie der Staatsapparate, die Linke zu spalten, boten sich die Stasiverflechtungen geradezu an, Diffamierungen über Linke hier auszustreuen und wie zu sehen ist, gibt es genügend Werkzeuge dafür. Für Leute, die sich den Kopf nicht vernebeln ließen, steht fest: Brigitte Heinrich war integer. Hannelore Christ,
Frankfurt am Main
[...] Hat Brigitte Heinrich nicht sozusagen den im Artikel zitierten von ihr zu ihrem Wahlspruch erkorenen Satz von Bertolt Brecht: „Die Starken kämpfen ein Stück, die noch Stärkeren kämpfen viele Jahre, die Stärksten kämpfen ein Leben lang“ mit ihrer IM-Tätigkeit konsequent in einer Art Höhepunkt zu Ende gelebt?
Hier „ausspioniert, verraten, eingeschätzt und an die Stasi verkauft“ als schändlich darzustellen und dafür kein Verständnis zu haben, dem „imperialistischen System“ damit geschadet haben zu wollen, entspringt doch eher einer gespielten, einer Pseudo-Entrüstung (oder ist sie echt?), als dem Versuch, der ernsthaften Aufarbeitung des eigenen Links-Standpunkts und der sensiblen Auseinandersetzung mit dem „Fall Brigitte Heinrich“.
Der letzte Absatz des Artikels ist doch aber wohl der „totale Hammer“: Unser heutiges Wissen über die Tätigkeiten, Aktivitäten, Hintergründe der Herren wie Mielke, Honecker, Krenz etc. in die Waagschale zu werfen mit der Engagiertheit, der Verweigerung, dem Ändernwollen (eventuell) um jeden Preis einer Brigitte Heinrich (wie sollte sie damals ahnen, was wir heute wissen), entbehrt nicht einer gewissen Blauäugigkeit und Etabliertheit des angepaßten Autors Reinhard Mohr. Günter Reindl, Iffeldorf
Reinhard Mohr beschuldigt Brigitte Heinrich für das MfS als informelle Mitarbeiterin tätig gewesen zu sein. Als Beweis präsentiert er eine beim BKA in „großen Teilen... lagernde ...„IM-Akte“ — mehr nicht. Auf den delikaten Umstand, daß ausgerechnet das BKA mit solchen „Informationen“ aufwartet, die er anscheinend gerne und ungeprüft übernimmt, weist der Autor — Kritik vorwegnehmend — selbst hin. Anstand und Pietät vortäuschend, schreibt Mohr, die 1987 vor ihrer Zeit gestorbene Brigitte Heinrich könne „...sich gegen Anschuldigungen nicht mehr wehren...“ —, um dann richtig loszulegen. [...]
Vor was hat der Autor Angst, daß er seine ehemalige Kampfgefährtin so mies runterputzen muß? Ist es die moralische Integrität Brigitte Heinrichs, die er heute noch — fast fünf Jahre nach ihrem Tod — fürchtet? Plagt ihn sein schlechtes Gewissen, weil die Frankfurter Spontis sich lieber an den rosa-grünen Frankfurter Futtertrögen tummeln als in der Solidaritäts-Arbeit für den geschundenen „Süden“? Ist es die grüne „Real“-Politik, die die „Dritte Welt“ vollkommen aus dem Blick verloren hat?
Auch wenn es Reinhard Mohr nicht gerne hört: Brigitte Heinrich steht für mich nach wie vor für gelebte internationale Solidarität. Reinhard Mohrs Abrechnung mit der toten Brigitte Heinrich ist das fieseste, was ich im Zusammenhang mit der „Stasi“ bisher gelesen habe! Thomas Ewald,
Frankfurt am Main
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