Im Tunnel durch die Vergangenheit

■ Das Ende der fünfziger Jahre abgerissene Zellengefängnis in der Lehrter Straße in Moabit war im Nationalsozialismus ein Ort des Terrors und Schreckens/ Soll der Tunnel unter dem Regierungsviertel an diesem Ort sein Ende haben?

Moabit. Von der Lehrter Straße aus sieht man nur ein Parkhaus und eine Wohnanlage, erst in der Invalidenstraße führt ein versteckter Weg zu einer Mauer: hier stand bis 1958 das Zellengefängnis Moabit. Steine, Schutt und Holzpaletten bedecken den Boden; Lagerplätze mehrerer Firmen und des Tiefbauamtes Tiergarten. Nichts vermittelt den Eindruck von der geschichtsträchtigen Bedeutung dieses Ortes.

Das Gefängnis wurde 1849 erbaut, umgeben von einer fünf Meter hohen Mauer. In seiner sternförmig angeordneten Anlage befanden sich vier dreigeschossige Flügel mit etwa 500 Einzelzellen, die von einem Zentralbau »panoptisch« überwacht werden konnten. Sie diente in den ersten Jahren als »Zuchthaus für männliche protestantische Gefangene«. Ab 1856 wird strengste Isolation praktiziert: tags und nachts Einzelzellen, selbst in der Kirche werden Trennwände eingebaut, damit kein Gefangener den anderen sieht oder ansprechen kann. Auf dem Weg zu den Einzelspazierhöfen tragen die Gefangenen Schirmmützen, die das Gesicht verdecken. Gesprochen werden darf nur mit »gesitteten Menschen«, dem Aufsichtspersonal. Drakonische Disziplinarmaßnahmen führen in zwei Fällen zum Tod von Häftlingen.

Grausame Bedeutung erlangte das Gefängnis im Dritten Reich. Wehrmacht und Gestapo vereinnahmen bei Kriegsausbruch nach und nach die Gefängnistrakte. Im Flügel C sperrt die Wehrmacht im Januar 1944 den Untersuchungshäftling Wolfgang Borchert ein. Der hatte — mehr aus Leichtsinn denn aus Widerstandswillen — seinen Kameraden eine Parodie auf Reichspropagandaminister Goebbels geliefert. Der Schriftsteller Borchert wird wegen »Wehrkraftzersetzung« zu neun Monaten Gefängnis verurteilt, kommt wegen »Strafaufschubs zwecks Feindbewährung« an die Front.

Nach dem Putschversuch vom 20. Juni 1944 belegt die Gestapo auch die Zellenflügel B und D. Die Angeklagten des Volksgerichtshofes werden hier unter menschenunwürdigen Lebensumständen untergebracht. Von 306 Gefangenen, die Ende 1944 hier registriert sind, überleben nur 35. Noch kurz bevor sowjetische Truppen Berlin erreichen, werden in den Nächten des 23. und 24. April 1945 zwei Gruppen von Gefangenen unter dem Vorwand, verlegt zu werden, auf das gegenüberliegende ULAP- Gelände geführt und dort in der Dunkelheit hinterrücks erschossen. Einer der Toten, der Dichter und Geopolitiker Albrecht Haushofer, hält in der Hand noch Gedichte, die er in der Zelle geschrieben hat. Sie werden als Moabiter Sonette veröffentlicht.

1958 wurde das Zellengefängnis wegen der damaligen Autobahnplanung abgerissen und damit nicht nur das sichtbare Zeugnis der Leiden namenloser Opfer vernichtet. Die Autobahn wurde zum Glück nicht gebaut. Erst ein Gutachten von Wolfgang Schäche und Norbert Szymanski legt die verschüttete Erinnerung an diesen Ort wieder frei. Dem Engagement des Natur- und Grünflächenamtes der Abteilung Bau- und Wohnungswesen des Bezirksamtes Tiergarten ist es zu verdanken, daß sich die historische Forschung noch vor der Öffnung der Mauer und der Vereinigung der Stadthälften dieser »Terra incognita« mitten in Berlin annehmen konnte.

Ab 13. März wird eine Ausstellung einen Ausblick auf ein städtebauliches Werkstattverfahren einleiten, das einerseits dem historischen Anspruch gerecht werden will, andererseits den Ort wieder in den urbanen Kontext der Lehrter Straße integrieren soll. Geplant ist ein Geschichtspark, eine Grundschule und eine Geschichtseinrichtung (Forum für Geschichte und Begegnungsort). So der Stand der bisherigen Diskussion zwischen dem Bezirk, verschiedenen Dienststellen für Stadtentwicklung und Umweltschutz sowie Bau- und Wohnungswesen und dem Entwicklungsträger S.T.E.R.N. Das Archäologische Landesamt vermutet übrigens noch Fundamentreste auf dem Gelände. Sie sollen möglichst bald freigelegt werden.

Die Tunnelplanungen des Senats könnten diesen Plänen, das Gelände angemessen zu würdigen, allerdings einen Strich durch die Rechnung machen. Eine Möglichkeit beinhaltet, den Tunnelausgang direkt auf das Gelände des ehemaligen Zellengefängnisses zu legen, so Wolfgang Branoner, Staatssekretär für Stadtentwicklung und Umweltschutz. Hannelore Petroschka

Ausstellung: Ulmeninsel Lehrter-/ Ecke Seydlitzstraße, im Zelt. Von 13. März bis 5. April, täglich 16 bis 19 Uhr