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Liebe, Drang und Wahnsinn

■ Sangesfreudig und grandios feierte der Neue Berliner Damenchor sein fünfjähriges Bestehen

Sonntag abend im Saalbau Neukölln. Der Neue Berliner Damenchor feiert sein Fünfjähriges, und viele sind gekommen: Sapphistinnen jeder Couleur, lesbische Honoratioren, lesbische Normalsterbliche, die alle das eine verbindet: die Liebe zur Musik ... oder die Liebe zu einer der Musizierenden. Im Kassenbereich des Foyers hängt ein Hauch von Lynchjustiz. Offensichtlich hat der Chor mehr Anhängerinnen als der Saal Plätze, und so muß manch eine nach Hause gehen, ohne von der Muse oder sonstwem geküßt worden zu sein. Das sollte frau sich merken: homoerotische Festivitäten des gehobeneren geistigen Niveaus sind eher selten und folglich ausverkauft. Das Programm hätte längst schon beginnen sollen, der Saal ist voll, die Gäste aufgeregt, vereinzelt sind einige Exemplare des anderen Geschlechts auszumachen. Und endlich sorgt kurz vor neun ein durchs Publikum irrendes Scheinwerferlicht für Spannung, findet schließlich auf der Bühne seine Heimat, wo es die Moderatorin Sabine Sulza-Frischauf in gleißendes Licht hüllt.

Der ironische Lauf des Abends nimmt seinen Anfang: Eine echte Dame im Glitzerfummel ist eine charmante Rednerin, kokettiert auch gerne mit dem Publikum. Noch ist kein Chor zu sehen, kein Ton zu hören, da gibt es schon Applaus für die ersten Anflüge von Esprit. Allerdings hätte die Moderatorin, in Abstimmung mit den Liedtexten, auf eine spezifisch weiblichere Nutzung der Sprache achten können. Doch sei's drum! Da hebt sich endlich der schwere rote Samtvorhang, eine Dame im Frack schreitet gemessen zum Piano, zehn weitere Damen, allesamt in Schwarz gekleidet, sind, in atmosphärisch rotblauviolettes Licht getaucht, auf der Bühne festgefroren. Ein Tableau von einem Damenchor. Die Frau am Klavier haut in die Tasten, die Sängerinnen, noch stumm, zelebrieren choreographische Trockenschwimmübungen. Mit dem erlösenden Aufschrei »Mops« ist der Bann dann gebrochen, der Gesangsabend eröffnet.

Eine Werkschau: Die Stücke illustrieren die Chronologie des Chores. In der feuchtfröhlichen Aura einer Geburtstagsfeier konstatierten sechs Damen vor fünf Jahren, daß das einzige, was der »Szene« noch fehle, ein Damenchor sei. So geben erst die Pionierinnen der Gründungszeit ihr Repertoire zum besten, erst allmählich erhöht sich die Zahl der Sängerinnen, bis der Chor sich in seiner heutigen Form, Kapazität und Kompetenz präsentiert. Was gesungen wird, läßt eine Trennung von Kopf und Gefühl nicht zu. Das Leitmotiv der Texte ist omnipräsent, sozusagen das klassische Thema par excellence: Liebe, Drang und Wahnsinn, Leidenschaft und Leid der Frau im allgemeinen und im besonderen.

Die Texte sind, stets ironisch und alltagskompatibel, aus der weiblichen Seele gesungen. Es ist zu sehen und zu hören, daß die Musikerinnen weitgehend aus dem musischen und darstellerischen Bereich stammen. Immer wieder werden witzige Choreographien geboten, zu den Texten passende Gestik und Mimik mit Überzeugungskraft. Die Körperbewegungen unterstützen oder unterhöhlen die Worte, sind mal lakonisches Understatement, mal kommt die Komik aus dem exaltierten Overacting. Und über allem schwebt jenes faszinierende Ambiente der zwanziger Jahre, als die lesbisch Liebenden noch mit Veilchen am Revers Unter den Linden zu promenieren pflegten. Die Lieder? Sie stammen aus allen möglichen Zeiten, neuerdings beinhaltet das Programm immer mehr selbstgemachte Texte, zum Beispiel Sophie von der Tagesschau oder den Mauerfallsong, mit dem die Wende zum Politischen vollzogen wurde. Interessante, eher unbekannte Stücke, meistens für Klavier und eine Singstimme, werden gemeinsam bearbeitet und für den Chor ins Singbare transponiert.

Jedes Jahr verbringen die Sängerinnen eine arbeitsintensive Chorwoche jenseits der Metropole. Von der ersten dieser Art, die in Passau stattfand, brachten sie einen Schuhplattler mit, dessen Text sie schamlos veränderten: »Jede Heteroschnalle hat 'ne Feuerkralle«, heißt es nun, »aber unsereine die hat nix.« Das Jubiläumspublikum reagiert amüsiert und spendet auch ohne Regieanweisung enthusiastischen Beifall in crescendo. Die Regentropfen, die an mein Fenster klopfen werden von der Moderatorin simultan in fünf Sprachen übersetzt, und schließlich erfolgt der musikalische Höhepunkt. In einer fremden Kammer befällt die Frau oft Katzenjammer, warnt Frau Sulza-Frischauf das Auditorium vor übereilten One- Night-Stands. Der Chor intoniert diesen Katzenjammer, dokumentiert ihn aufs treffendste in allen Tonlagen. Ein mehrstimmiges, sympathisches Miau, das sämtliche musikalische Spannbreiten umfaßt: leidenschaftlich, nachdenklich, lamentierend, zärtlich, kämpferisch. Für dieses Stück, das textlich der Minimal music zuzurechnen wäre und, an den Worten gemessen, kaum Aussagekraft hat, ernten die Damen die heftigsten Ovationen. Der Ton macht eben die Musik. Und so wäre der Abend sicher perfekt gewesen, hätten Akustik und Technik besser gestimmt. Oft war am Saalende nicht zu verstehen, was auf der Bühne gesungen wurde.

Dennoch: sechzig grandiose, geistreiche Minuten. Als das Programm beendet ist, räumen die Gäste die Stühle beiseite. Nach dem Motto: »Fräulein, bitte woll'n Sie Standard tanzen?« wird bis in den Morgen gewalzt. Andrea Winter

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