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DIE URENKEL EINES BUSPISSERS HABEN NICHTS ZU LACHEN Von Ralf Sotscheck

Der Pranger wurde in Irland vor langer Zeit abgeschafft. Statt dessen erfand man Zeitungen. Wer seitdem das Pech hat, wegen großer oder kleiner Delikte verurteilt zu werden, findet seinen Namen unweigerlich in der Presse wieder — komplett mit Adresse und Geburtsdatum. Die irischen Zeitungen, allen voran das kostenlose Anzeigenblatt 'Dublin Tribune‘, haben dafür eine spezielle Kolumne geschaffen: die Gerichtsberichte. Neben den Todesanzeigen sind das die meistgelesenen Seiten. Es ist geradezu ein Voklkssport geworden, die betreffenden Kolumnen nach Verwandten und Bekannten abzusuchen. In einem kleinen Land mit großen Familien stehen die Chancen recht gut, daß zumindest der Nachbar jemanden kennt, der mit der Cousine des Mannes verheiratet ist, der angetrunken um Mitternacht einen Linienbus in der Dubliner Innenstadt angepinkelt hat. Der Übeltäter wird dadurch doppelt bestraft: Neben der Geldstrafe ist der Ruf auf unabsehbare Zeit ruiniert. Vor allem auf dem Land ist das Gedächtnis lang, und noch die Nachfahren werden als „Enkel des Buspissers“ an der Notdurft zu schlucken haben. Wer berühmt ist, hat ohnehin keine Chance. Prominente werden gleich auf der Titelseite an den papiernen Pranger gestellt — wie vor kurzem der irische Supermarktkönig und treue Familienvater Ben Dunne, der in den USA in einem Hotel mit einer Prise Kokain und einer jungen Begleiterin geschnappt wurde. Das Kokain spielte freilich bei den Kneipendebatten in der Heimat nur eine untergeordnete Rolle.

Die große Mehrheit der Missetäter schafft es zwar nicht auf die Titelseiten, aber auch sie entgehen dem wachsamen Volksauge nicht. So hätte es sich ein gewisser Herr O'Callaghan aus einem winzigen Dorf in Nordwestirland vermutlich nicht träumen lassen, daß seine wüste Schimpfkanonade, mit der er bei einem Dublin-Ausflug den Wachmann einer US-amerikanischen Hamburgerkette bedachte, wortgetreu in der Lokalpresse wiedergegeben würde. Der Türhüter hatte den Genuß des gummiartigen Leckerbissens verhindert, weil O'Callaghan sturzbesoffen war. Wer hätte gedacht, daß man beim Verzehr eines Hamburgers nüchtern sein muß? Möglicherweise befürchten die Fleischbrötchenmonteure, daß man sonst die Verpackung mitessen könnte. O'Callaghan wurde vom Gericht dazu verdonnert, sich sechs Monate lang anständig zu benehmen.

Das gleiche Urteil erging gegen eine Frau, die sich regelmäßig durch eine Hecke an den Nachbarsgarten angeschlichen und die Nachbarin — die sie offenbar nicht leiden konnte — erschreckt hatte. Überhaupt scheint sich in irischen Gärten einiges abzuspielen. In der vergangenen Woche wurde ein Mann angeklagt, der „mit einem Küchenmesser ohne gesetzliche Genehmigung“ im Nachbarsgarten erwischt wurde. Die Erklärung, er wollte lediglich „den Garten in Ordnung bringen und ein paar wildwuchernde Zweige“ absäbeln, hielt der Richter für unglaubwürdig: Wer widmet sich schon mitten in der Nacht mit 2,3 Promille im Blut der Hortikultur?

Allgemeine Heiterkeit erregten auch zwei Jugendliche, die sich eines in Großstädten ungewöhnlichen Fluchtmittels bedienten. Nachdem sie am hellichten Tag einen Laden überfallen hatten und vom benachbarten Fleischer mit einem Tranchiermesser verfolgt wurden, flüchteten sie auf einem Esel. Sie wurden geschnappt, weil das Grautier an der nächsten roten Ampel bockte.

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