: Polens kriminelle Infrastruktur
Warschau (taz) — Wer infiltriert wen in Polen? Die Polizei die Mafia oder umgekehrt?
In der Nacht vom 2. auf den 3. September letzten Jahres fanden die Beamten vom Kommissariat Danziger Bahnhof in Warschau die Leiche eines Kollegen von der Warschauer Hauptwache in ihrer Dienststelle. Roland K., dessen vollen Namen die Staatsanwaltschaft nicht bekanntgegeben hat, hatte sich mit seiner Dienstpistole erschossen. Auf seinem Schreibtisch hatte er einen umfangreichen Bericht hinterlassen, dessen Inhalt ebenfalls geheimgehalten wird. Inzwischen weiß man allerdings, daß der Bericht Folgen hatte. In ihm muß der bei seinen Vorgesetzten hochangesehene Kriminalbeamte beschrieben haben, wie er in Kontakt mit zwei Autodieben und einem höheren Zollbeamten der beim Danziger Bahnhof gelegenen Zollwache gekommen war. Die beiden Diebe hatten Wagen zum Zoll gebracht, der korrupte Beamte hatte sie verzollt, damit sie anschließend anstandslos in Polen zugelassen werden konnten. Das Trio wurde inzwischen festgenommen.
Wenn es um Polens Automafia geht, so gelingt der Polizei immer wieder einmal eine mehr oder weniger spektakuläre Festnahme, die großen Fische bleiben jedoch meist aus. Die Mafia hat ihre Infrastruktur indessen so ausgebaut, daß ihr kaum noch beizukommen ist. Immer häufiger treffen die Ermittlungsbehörden auf Hinweise, wonach Polens Autohändler auch mit Rauschgift zu tun haben. Geschäfte der neuen Art: Autos kommen nach Polen und werden mit Amphetaminen, die in Polen hergestellt werden (wir berichteten), bezahlt. Häufig gehen die Wagen dann gegen russische Kunstgegenstände, Gold oder Waffen weiter gen Osten. Die Gegenleistungen werden dafür gen Westen geschafft. Als die Polizei im Sommer letzten Jahres in Danzig die Wohnungen einiger des illegalen Autohandels verdächtiger Personen durchsuchte, geriet sie statt an PKW an eine Ladung Amphetamine. Ähnlich erging es ihren Kollegen in Stettin.
In Krakau dagegen mußte die Polizei feststellen, daß der Handel mit gestohlenen Wagen, so umfangreich er inzwischen geworden war, nur noch eine Nebenbeschäftigung der dortigen Unterwelt darstellt. Als dort im Sommer letzten Jahres ein Mann mit Schußverletzungen in das Zeromski-Krankenhaus eingeliefert wurde und die Polizei dann nach seinem baldigen Tod die Ermittlungen aufnahm, traf sie auf ein ganzes Netz miteinander verbundener Firmen, die alle als Deckmantel für Erpressung, Betrug, Mord und eben auch Autodiebstahl dienten. Über Scheinfirmen wurden Waren am Zoll vorbei importiert und dann über affilierte Großhandelsbetriebe abgesetzt. Der Erlös wurde über private Wechselstuben und legale Kleinfirmen gewaschen. Wurde ein Kredit gebraucht, zwang man Kunden zur Bank zu gehen, so daß die Männer im Hintergrund, von denen einige sich bereits ins Ausland abgesetzt haben, nie selbst unterschreiben mußten. Wer nicht wollte, wurde wenig gesundheitsfördernden Behandlungsmethoden ausgesetzt.
Mithilfe korrumpierter Bankangestellter wurden auch von Scheinfirmen Kredite zu Lasten nicht bestehender Guthaben aufgenommen, gekaufte Versicherungsbeamte dagegen durften Waren versichern, die gar nicht existierten, aber auf dem Papier dann beschädigt wurden oder verschwanden. Eingebunden in die Aktivitäten war eine ganze Reihe von Briefkastenfirmen in Krakau, die einen respektablen Schleier um die Schutzgelderpresser und Betrüger legen sollten.
Für Kenner der Szene sind solche Fälle nur die Spitze eines Eisberges und Anzeichen dafür, daß die hausgemachte Kriminellenszene nicht nur expandiert, sondern auch zum Partner internationaler Banden geworden ist. Die Zeiten, als Nikodemus Skotarczyk, inzwischen schon legendärer Boß der Danziger Automafia, seine geklauten Luxuskarrossen noch auf eigenen Namen aus Deutschland einführte, sind vorbei. Die Zeit der Geldwäscher, Briefkastenfirmen und Weiße-Kragen-Täter hat nun auch in Polen begonnen. Klaus Bachmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen