Bunker statt Brot für Kubas Volk

Fidel Castro läßt im ganzen Land „Volkstunnel“ für den Zivilschutz bauen/ Vorbereitungen für das letzte Gefecht: „Sozialismus oder Tod“ heißt die makabere Alternative der Propaganda/ Wirtschaftliche Probleme bleiben weiter ungelöst  ■ Aus Havanna Yüntas Tio

Mauricio sollte eigentlich die U- Bahn von Havanna konstruieren. Fünf Jahre lang war er dafür in der Sowjetunion zum hochspezialisierten Tiefbauingenieur ausgebildet worden. Auch die Baupläne für die Metro der kubanischen Hauptstadt liegen seit langem fertig in der Schublade. Dort werden sie jetzt allerdings vollends vergammeln. Denn nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Verbündeten hat Fidel Castro das Prestigeprojekt U- Bahn auf unbestimmte Zeit „verschoben“. Statt dessen baut Mauricio nun „Volkstunnel“ — tief ins Erdreich getriebene Bunker für die kubanische Bevölkerung: Vorbereitung auf den Kriegsfall, der in Kuba nur als Konflikt mit den USA denkbar ist. Den flächendeckenden Bau dieser „Túneles populares“ hat Fidel Castro vor gut einem Jahr zur „prioritären Aufgabe“ erklärt und in Havanna den Bau von bereits 50 solcher Zivilbunker angeleiert, obwohl es überall auf der Karibikinsel an Baumaterialien und Benzin mangelt. Und: Das Programm ist landesweit. Unlängst verkündete Armeechef Raúl Castro in der Provinzhauptstadt Matanzas, daß diese wohl als erste das Ziel erreiche und bald für jeden Bewohner einen Bunkerplatz haben werde.

„Ein Wahnsinn“, stöhnt Mauricios Schwiegermutter Lucrecia. Vom Balkon ihres Hauses schaut sie auf eine gewaltige Baustelle. Einst war dies der grüne Spielplatz ihrer Kindheit. Heute fahren hier Tag für Tag unzählige Laster Tonnen von Geröll aus einem Loch, das in die Felswand gegenüber gesprengt worden ist. Aus dem Inneren dröhnen Explosionen. „Und das alles nur, damit wir in einem Krieg 'ne halbe Stunde später sterben!“ Sie erzählt von den Bildern aus dem Irak-Krieg, die immer wieder im kubanischen Fernsehen gelaufen sind und die ihr nicht aus dem Kopf gehen. Auch von den vielen Frauen und Kindern, die hilflos in den Bunkern von Bagdad gestorben sind. „Nein“, sagt Lucrecia, „lieber will ich durch eine Bombe in meinem Haus sterben, als in so einem Tunnel lebendig begraben werden!“

Mauricio dagegen verteidigt das Projekt. „Sie sagen: ,Es geht um die strategische Perfektionierung der Landesverteidigung‘ und sei eine ,militärische Notwendigkeit‘ — da gibt's nichts zu diskutieren.“ Doch die Enttäuschung darüber, nun statt der U-Bahn Bunker für die Bewohner von Havanna zu bauen, steht ihm im Gesicht geschrieben. Nur indirekt spricht er aus, was bei der täglichen Arbeit verdrängt wird: „Viele meinen, wir bauen Massengräber.“

Aber auch jenseits des zweifelhaften Nutzens von „Volkstunneln“ gegen die High-Tech-Waffen des Imperiums ist Mauricio nicht davon überzeugt, daß Kubas Zukunft in der militärischen Auseinandersetzung mit den USA liegt. „Dieses ,letzte Gefecht‘ ist ja nicht zu gewinnen“, seufzt er, „das ist ja in jedem Fall eine Selbstmord-Option.“

Parallel zum fürsorglichen Bunkerbau beschwört die offizielle kubanische Propaganda schon seit einiger Zeit wieder massiv den Heroismus des Guerilla-Kampfes und das Beispiel des untadeligen Revolutionshelden Che Guevara („Sterben wie Che!“). Nur gibt sie damit eine denkbar schlechte Antwort auf die gegenwärtigen Probleme. Die akute Bedrohung für den kubanischen Sozialismus liegt weniger in einer Invasion der US-Armee als vielmehr im totalen Kollaps der Wirtschaft, in Devisenmangel und Auslandsverschuldung, dem fehlenden Öl und einer völlig auf die „internationale sozialistische Arbeitsteilung“ des RGW orientierte Industriestruktur.

Der ressourcenverschlingende Bau unzähliger „Volksbunker“ ist dabei das vielleicht deutlichste Signal dafür, daß Fidel Castro nicht mehr ein „rigides, aber rationales“ Sparprogramm angesichts widriger äußerer Umstände kommandiert. Wo er keine Zukunftsperspektive für die kubanische Wirtschaft mehr zu benennen vermag, flüchtet sich der alte Revolutionär in das vertraute Terrain der militärischen Konfrontation. Wo für die Weizenlieferungen aus der Sowjetunion kein Ersatz in Sicht ist, gibt es Bunker statt Brot fürs Volk.

Daß sich daraus eine Überlebensperspektive für den kubanischen Sozialismus ergibt, ist schwer zu glauben. Doch Fidels allgegenwärtige Parole „Socialismo o Muerte“ bietet ja zwei Alternativen, nicht nur eine: Sozialismus oder Tod. Und in Kuba ist dies ernstzunehmen. „Lieber aufrecht sterben als auf Knien leben“, präzisiert eine große Stelltafel in Havanna das Ethos des Guerilla-Kampfes. Wie sich diese heroische Todesbereitschaft Castros übersetzt, wenn die Ökonomie Kubas Sozialismus in die Knie zwingt, wie sich der Bau der „Volkstunnel“ auf „Aufrecht sterben“ reimt — daran wagt in Kuba derzeit kaum jemand zu denken.