: ÖTV-Juristen: Honecker anklagen oder nicht?
Berlin. »Herr Schily, würden Sie Honecker anklagen, ja oder nein?« Klipp und klar wollte die versammelte ÖTV-Sektion Richter und Staatsanwälte Juristen gestern endlich Bescheid wissen, was nach Meinung des Promi-Anwaltes und Abgeordneten aus Bonn in Sachen DDR- Regierungskriminalität denn nun justitiabel sei und was nicht. Aber so klipp und klar wollte Otto Schily sich nicht festlegen lassen. Er kenne schließlich die Akten nicht, da könne von ihm nicht erwartet werden, daß er sich zu einer Anklageerhebung äußere. »Auch für Herrn Honecker gilt schließlich die Unschuldsvermutung«.
Das sah der Kenner der Aktenlage, Staatsanwalt Bernhard Jahntz, genauso. In Anlehnung an eine Definition des stellvertretenden SPD- Vorsitzenden Wolfgang Thierse schilderte er das Credo der Staatsanwaltschaft, die für die Aufarbeitung der Regierungskriminalität zuständig ist: Ein möglicher Prozeß gegen Honecker und andere müsse bis an den Rande des Skandalösen fair geführt werden.
Zwei Stunden lang diskutierten die Juristen mit Otto Schily, Wolfgang Ullmann und Bernhard Jahntz über die Möglichkeiten der Justiz bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Am eindeutigsten war die Position des Bündnis-90-Abgeordneten Ullmann. Er erwarte »von der Justiz, daß sie vor den Schwierigkeiten nicht gleich zurückschreckt, sondern die vorhandenen Möglichkeiten erst einmal richtig nutzt«. Selbst als Schily ihm vorhielt, ob er denn nun den gesamten ehemaligen Apparat der DDR wegen Freiheitsberaubung im Amt, begangen an 17 Millionen Menschen, verfolgen wolle, ließ Ullmann sich nicht beirren. Schon in der Regierung Modrow habe man immer versucht, ihn mit dem Verweis auf die unabsehbaren Konsequenzen seiner Forderungen ruhigzustellen, aber das sei für ihn nicht akzeptabel. Verbrechen beispielsweise, die im Rahmen der Zwangskollektivierung an den Bauern Ostdeutschlands begangen worden sind, könne man nicht auf sich beruhen lassen.
Die größten Meinungsverschiedenheiten unter den Juristen machte allerdings die Frage aus, ob ehemalige Regierungsmitglieder der DDR nur nach DDR-Recht angeklagt werden dürfen oder auch andere Rechtsnormen angewandt werden können. Warnend verwies Schily auf die skandalösen Freisprüche gegen ehemalige Richter am Volksgerichtshof, die sich nun in ähnlicher Weise nicht wiederholen dürften. Man kann doch Diktatoren nicht laufenlassen, nur weil sich sich ihren eigenen Regeln gemäß vorschriftsmäßig verhalten haben, empörte er sich nachhaltig. Staatsanwalt Bernhard Jahntz hatte damit weniger Probleme: Auch innerhalb der Regeln des DDR-Rechts gäbe es genügend Anhaltspunkte, um Honecker und Mielke vor den Kadi zu bringen. Noch in diesem Frühjahr werde die Anklage gegen Honecker fertig sein, und auch Mielke werde man noch wegen etlicher Delikte anklagen, die er als Stasi-Chef begangen habe.
Ob das allerdings tatsächlich dem Rechtsfrieden dient, wurde im Saal mehrfach bezweifelt: Bei einem Prozeß gegen Honecker würden die Sühneforderungen nicht wirklich befriedigt, und von einer präventiven Funktion könne ja wohl nicht mehr ausgegangen werden. Ohne daß zum Schluß abgestimmt wurde, war die Mehrheit schließlich doch der Meinung: immer noch besser, als wenn gar nicht mehr angeklagt würde. Jürgen Gottschlich
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