: Das kommt davon!
■ Helmut Dietls „Schtonk!“
Schtonk! Das kommt von Charlie Chaplin, der diese Lautmalerei als Der große Diktator in seine Reden einflocht, um sie deutsch klingen zu lassen. Schtonk! kommt von der Blamage des 'Stern‘, der 1983 Hitlertagebücher veröffentlichte, die sich als Fälschung entpuppten. Schtonk! stammt von Helmut Dietl, der die Affäre zum Aufhänger seines Leinwanddebüts machte. Schtonk! kommt von der Bavaria, die dem Kir Royal-Regisseur trotz schlechter Filmzeiten runde 14,5 Millionen Mark für die Realisation einer der aufwendigsten deutschen Kinoproduktionen gewährte.
Es ist ein Film über den Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit: „Er brennt nicht, Herr Obersturmbannführer!“ Ein SS-Mann versucht am Anfang der Komödie vergeblich, Hitlers Leiche anzuzünden. In einer der letzten Szenen soll die vermeintliche Asche des Diktators dem schmierigen Reporter Hermann Willié (Götz George) als Schnupftabak dienen. Dietl reißt Possen an der Grenze zur Geschmacklosigkeit, um zu zeigen, daß Hitler heute noch auf viele eine Attraktion ausübt, die einen Skandal wie den des 'Stern‘ erst ermöglicht.
Daß die Faszination für alles, was des Hitlers ist, ein Geschäft bedeutet, wird mit der Figur Fritz Knobel (Uwe Ochsenknecht) vorgeführt. Im schwäbischen Heimatfilmidyll führt er eine florierende Fälscherwerkstatt für Objekte des „germanischen Naturalismus“. Dagegen ist Reporter Willié auf der Suche nach einem journalistischen Knüller.
Angebot und Nachfrage, Schlitzohr Knobel und Möchtegern-Karrierist Willié treffen aufeinander. Von Knobels auf alt getoasteten „Hitlertagebüchern“ ist auf dem Kameradschaftsabend (nicht nur) der windige Reporter begeistert. Willié, dem bisher die Anerkennung versagt blieb, ist von der Idee besessen, eine Weltsensation entdeckt zu haben. Wir kennen die Geschichte: Für den Erwerb von einem ganzen Stapel Geschreibsel aus Knobels Feder macht er bei seinem Verlag Millionen locker. Daß es sich um eine plumpe Fälschung handelt, scheint niemanden wirklich zu interessieren. Daß die Initialen auf dem Einband nicht „AH“ wie „Adolf Hitler“, sondern „FH“ wie „Führers Hund“ oder „Hand“ lauten — egal. Wer eine Erklärung will, findet sie. Die Gesellschaft, läßt uns der Regisseur wissen, liefert die Strukturen, die eine unglaubliche Geschichte Realität werden lassen. Dietl führt vor: Es wird wahr, was wahr sein soll.
Eine der Schlüsselszenen des Films spielt in einem eiskalten Hamburger Verlagsgebäude mit blutleeren Managern in Designermöbeln. Ein typisches Beispiel für den Schtonk!-Humor liefert Willié, als er seinem Verlagschef mit dem Versprecher „Ich habe nicht gewagt, das Siegel zu brechen, mein Führer“, das noch verschlossene, erste Tagebuch überreicht. Die klamottenhafte Komik mutiert zur Groteske als der Reporter aus dem Band vorlesen muß. Andachtsvoll-stockend trägt er vor: „Die übermenschlichen Anstrengungen der letzten Zeit verursachen mir Blähungen im Darmbereich und Eva sagt, ich habe Mundgeruch.“ So wird der Diktator entdämonisiert, ein Mensch „wie du und ich“.
Auch wenn Dietl in seinem Film den braunen Sumpf in der deutschen Gegenwart mit Witz an die Oberfläche spült, sind seine Protagonisten als kindliche Narren eher Opfer als Täter. Sie gehorchen der Macht ihrer Wünsche und Eitelkeiten. Vom Bild des Erfolgs größenwahnsinnig geblendet, sind sie ideale Verlierer auf der Leinwand. Als Willié bei der Präsentation seines Fundes in Siegerpose im Blitzlichtgewitter vor der Presse steht, hat der Schweiß schon die Angst in sein Gesicht geschrieben.
Das Publikum kann sich an einem großartigen George ergötzen, der als herrlich pomadiger Willié „mit Akzent auf dem e“ und mit gespreiztem Habitus auch dem letzten Zuschauer beweist, daß er ganz anders sein kann als Schmuddelkommissar Schimanski. Brillant auch die Metamorphose Ochsenknechts als Knobel, dem bodenständigen Konterpart, der eine verteufelte Ähnlichkeit mit Hitlers Erscheinungsbild annimmt, je mehr er seine eigene Identität verliert.
Dietl begeht in Schtonk! nicht den Fehler, nur eine hämische Abrechnung einer 'Stern‘-Stunde in Szene zu setzen, sondern zeigt das, was er „die Wahrheit, nicht etwa die Wirklichkeit der Affäre“ nennt. Die groteske Komödie ist wohl die einzig richtige Form, in der sich der Regisseur an eine Geschichte annähern konnte, deren Realität die Fiktion überholt hat. Und dennoch wollen die gemischten Gefühle, die sich beim Verlassen des Kinos einstellen, nicht weichen: So unbefangen und tolldreist hat bisher wohl kein anderer Regisseur ein NS-Thema ins Komisch-Grausige gezogen. Wer über die grell-derben Späße, die uns Dietl so kurzweilig erzählt, lachen kann, wird sich in Schtonk! prächtig amüsieren.
Sabine Jaspers
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