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Eine Räuber-Pistole aus der rechten Ecke?

Patienten des Wehrsportarztes Uwe Jürgens machen vor dem Landgericht Celle gegen einen Fernseh-Journalisten Front  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

„Wenn ich an die ganzen Strafanzeigen und Verfahren denke“, glaubt der Hannoversche Journalist Wolgang Becker heute, „dann hätte ich meinen Fernsehbeitrag im Oktober 1990 über den Arzt und Wehrsportgruppenchef Uwe Jürgens abliefern und mich nicht weiter um die Angelegenheit kümmern sollen.“ In dem über die Nordkette ausgestrahlten Fernsehbeitrag hatten eine Frau und zwei Männer vor der Kamera darüber berichtet, daß der bis dahin aus Verfassungschutzberichten bekannte Arzt drogenabhängige PatientInnen per Rezept regelmäßig mit Medikamenten wie dem opiathaltigen Hustenmittel Remedacen versorgte und von Frauen dafür sexuelle Gegenleistungen verlangte.

Wolfgan Becker, der seinen Berusfweg einst bei der taz begann, hat seit damals eine Reihe von Verfahren abwehren können, die der rechtsradikale Arzt und dessen Bekannte gegen ihn anstrengten. Doch nun steht Becker seit vergangenen Donnerstag in Celle wegen „schweren Raubes“ vor Gericht. Ein ehemaliger Patient des Arztes Uwe Jürgens beschuldigt Becker, mit vorgehaltener Waffe aus seiner Wohnung Notizen und Briefe geraubt zu haben. Die Unterlagen hat Becker erwiesenermaßen postwendend nach dem angeblichen Raub von sich aus der Kripo als Beweismaterial zu Verfügung gestellt.

Vorsitzender Richter in diesem Verfahren vor der einzigen in Celle angesiedelten „Großen Strafkammer des Landgerichts Lüneburg“ ist Jürgen Kunkis, der bislang in Verfahren gegen den Wehrsportarzt noch immer hat Milde walten lassen.

Am Tag des angeblichen Raubes von Unterlagen hatte Becker eine 29jährige Informatin ausfindig machen wollen, die ebenfalls über sexuelle Beziehungen zu dem fast greisen Wehrsportgruppenchef berichten konnte. Sie hatte einen vereinbarten Termin in einer Hannoverschen Drogenberatungstelle platzen lassen. Dabei suchte Becker auch jenen Jürgens-Patienten auf, der ihn nun des schweren Raubes beschuldigt und am ersten Verhandlungstag vor einer Woche vor dem Landgericht in Celle als Nebenkläger auftrat.

Wolgang Becker hat in seiner Einlassung an diesem Donnerstag nicht bestritten, bei jenem Besuch bei dem Nebenkläger die fraglichen Papieren an sich genommen zu haben. Die Zettel und Briefe hätten offen auf einer Kommode gelegen, sagte der Journalist aus. Obenauf ein Zettel, auf dem unstrittig der Name und das Geburtsdatum des Journalisten stand. Beim weiteren Überfliegen der Papiere, die in Kopie dem Gericht vorliegen, stieß Becker dann auf Worte wie „Neun-Millimeter- Experte“ und Begriffe aus der Drogenszene wie „Hero-Taxi nach Hamburg“ und fragte den nach seiner Aussage damals nur abwesend kichernden Nebenkläger, ob er diese Papiere an sich nehmen dürfe. Dieser Bitte, so Becker, habe der Nebenkläger nicht widersprochen.

Nach den Aussagen des Jürgens- Patienten hat Becker ihn allerdings während dieses Besuches am 10.November 1990 eine Zeit lang mit einem Revolver bedroht, dessen Lauf in einem kleinen Plastik-Überzug steckte. Nur unter dieser Drohung will der Nebenkläger, der nach eigenem Bekunden schon lange unter Verfolgungsängsten leidet, die Papiere herausgegeben haben.

Unstrittig ist, daß der Journalist damals einen Schrotrevolver besaß. Er hatte die Waffe in Frankreich im freien Handel erworben, nachdem er immer wieder Drohanraufe aus der rechtsradikalen Szene erhalten hatte und ihm die Reifen seines Autos zerstochen worden waren. Der Journalist war in dieser Zeit sogar in einem Hannoverschen Lokal von Unbekannten ohne ersichtlichen Anlaß schwer zusammengeschlagen worden. Ein Verfahren wegen des Besitzes der in der Bundesrepublik nicht erlaubten Waffe wurde später wegen „Verbotsirrtums“ gegen eine Geldbuße eingestellt.

Noch ein einziger weiterer Belastunsgzeuge spielt eine Rolle in dem Celler Verfahren, das heute fortgesetzt wird. Ein zweiter, drogenabhängiger Patient des Wehrsportarztes sagte am vergangenen Donnerstag aus, daß Becker ihm nach der Tat den Raub der Papiere gestanden habe. Nach dieser Aussage nahm der Zeuge im Zuschauerraum vetraulich tuschelnd justament neben dem Arzt und Wehrsportgruppenchef Platz, der im olivgrünen Overal mit aufgenähten Deutschlandfahnen das Geschehen verfolgte.

In einem der anderen Verfahren vor dem Amtsgericht Hannover, in dem Wolfgang Becker freigesprochen wurde, hatte eben dieser Zeuge behauptet, der Journalist habe ihm Heroin beschafft. Die letzten Worte des drogenabhängigen Jürgens-Patienten im Amtsgerichtssaal lauteten damals: „Becker, beim nächsten mal kriegen wir dich“. Daß diese Drohung aus der Umgebung des Wehrsportarztes wahr werden könnte, hat Richter Kunkis am letzten Donnerstag deutlich gemacht. Er warf dem Journalisten Gestapomethoden vor und deutete an, daß drei Jahre Haft durchaus drin sein könnten.

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