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„Ob das Ganze hier überhaupt noch Sinn macht?“

Während Tausende Schiffbauer schon fast resigniert demonstrieren, stimmt der Schweriner Landtag mit einer Stimme Mehrheit für das Werften-Sanierungskonzept von Landesregierung und Treuhand/ Betriebsräte: „Das hat böse Folgen“  ■ Aus Schwerin Bascha Mika

Von der Schweriner Staatskanzlei zum Schloß ist es nicht weit; nur wenige hundert Schritte muß man gehen, um den Landtag zu erreichen. Aber Alfred Gomolka hat gestern morgen bestimmt kräftig geschluckt, bevor er sich auf den Weg machte. Mehrere tausend WerftarbeiterInnen empfangen den Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern mit kräftigen Pfiffen. „Alfred Gomolka“, schallt es vom Podium, „gehen Sie erhobenen Hauptes in den Landtag, damit Sie das Plakat sehen.“ Worauf die DemonstrantInnen ihren Landesvater so fürsorglich aufmerksam machen, ist ein großes Transparent über dem Torbogen zum Parlament. „Abgeordnete! 8.000 Werftarbeiter fordern eine Große Verbundlösung“, steht darauf.

Der Werftenstreik in Mecklenburg-Vorpommern ist in die nächste Runde gegangen. Das Trauerspiel findet diesmal gleich auf zwei Bühnen statt. Draußen vor dem Schweriner Schloß demonstrieren Tausende Beschäftigte gegen eine Privatisierung der ehemaligen DDR-Werften in kleinen Happen. Drinnen im Parlament debattieren die Abgeordneten über einen Kompromiß, den die Landesregierung in Übereinstimmung mit der Treuhand ausgekaspert hat. Der dividiert den Werftenverbund auseinander.

Alfred Gomolka ist gerade im Schloß verschwunden. So kann er nicht mehr hören, was der Vorsitzende der IG Metall Küste, Frank Teichmüller, ihm gerade nachruft: Ein „Turbo-Wendehals“, sei der CDUler. Schließlich habe er im Zuge der Werftenkrise so ziemlich jedem Konzept irgendwann einmal zugestimmt, um es dann wieder zu verwerfen. Der Ministerpräsident und sein FDP-Wirtschaftsminister begingen eine „Koalition des Verrats am eigenen Lande“. „Wir fordern Ihren Rücktritt“, schiebt Teichmüller noch hinterher und die DemonstrantInnen freuen sich.

Für die IG Metall und die Belegschaften der Weften ist der Entscheidungsprozeß der vergangenen zehn Tage über die Zukunft der Betriebe der reinste Hohn: Der jetzige Kompromiß stamme aus dem Mund von FDP-Chef Lambsdorff, „den wir hier noch nie gesehen haben“. Die Treuhand lasse sich von politischen Interessen unter Druck setzen; die Gespräche mit den Betriebsräten seien reine Kosmetik gewesen und letzlich ginge es sowieso nur darum, die CDU/FDP-Koalition am Leben zu halten.

Am Schluß seiner Rede erinnert sich Teichmüller noch an den Schlachtruf aus DDR-Wendezeiten: „Wir sind das Volk“. Aber leise, fast gequält, wispert er ins Mikro. Und niemand in der Menge reagiert.

„Ich wieß nicht, ob das Ganze hier überhaupt noch Sinn macht“, sagt ein Arbeiter und knöpft sich seine Jacke fester zu. Ruhig sind die 8.000 auf dem Platze, nicht besonders kämpferisch. In den vor Kälte geröteten Gesichtern zeigen sich die Spuren der letzten Wochen, die Ungewißheit über die Zukunft der Betriebe, die Existenzangst. „Bisher haben die ganzen Aktionen, die Werftbesetzungen und Verhandlungen ja noch nicht viel gebracht“, meint eine Schlosserin von der Warnow-Werft in Rostock. „Und Gomolka verpißt sich immer, wenns brenzlig wird,“, beschimpft sie den Landesvater. „So ein Drückeberger.“

Wütend sind die Schiffebauer vor allem auch auf Verkehrsminister Krause. Vollmundig hatte der noch vor zwölf Tagen in Wismar verkündet, daß nur eine große Verbundlösung mit Landesbeteiligung in Frage käme. Lauthals hatte er als CDU- Chef in Mecklenburg-Vorpommern den Rücktritt von Wirtschaftsminister Lehment gefordert. Die Belegschaften vertrauten ihm, glaubten an seine „klaren Worte“. Doch sie wurden gründlich enttäuscht. Bonn pfiff den Verkehrsminister zurück, seitdem backt er ganz kleine Brötchen. „Politik ist ein dreckiges Geschäft“, sinniert Betriebsrat Detlev Duhr von der Meerestechnik-Werft in Wismar, der noch kürzlich voll auf Krause stand. Und Siegfried Stuchly vom Schiffanlagenbau Barth, der sich gerade eine kalte Knackwurst zwischen die Zähne schiebt, ergänzt: „Krause hat sich doch selbst ins Bein geschossen, aber überm Knie, da tut's besonders weh. Der Stimmenfang ging voll nach hinten los.“

Auch Wolfgang Thierse, der zur Kundgebung nach Schwerin gekommen ist, hat einige warme Worte für den Verkehrsminister übrig. „Selbst Ludwig Erhardt,“, meinte der SPD- Vize zur taz, „hatte nie so saudumme marktwirtschaftliche Vorstellungen, wie Krause sie hier vertreten hat.“ Vor den KundgebungsteilnehmerInnen wettert Thierse gegen die Marktwirtschaft im Hauruckverfahren, ohne daß der Staat in einer Übergangszeit Mitverantwortung übernehme, aber schließlich hat er für die Leute in Schwerin auch nur einen schwachen Trost: „Ideell“ hätten sie gewonnen, lobt der SPDler, muß aber zugeben, daß die Entscheidung über den Kernbereich der Schiffsbaubetriebe bereits gefallen ist.

Und genau das scheinen die DemonstrantInnen auch zu spüren. Resigniert verkriechen sie sich in ihre Windjacken und dann fängt es auch noch an zu regnen.

Im Trockenen dagegen sitzen die Akteure auf der anderen Bühne. Zur Abstimmung steht die Kompromißlösung der Landesregierung und ein Antrag der SPD-Opposition, die die Einheit der Werften in einer Zwischenholding erhalten will. Nur weil SPD-Fraktionsvorsitzender Harald Ringstorff sich verspricht und das „Hohe Haus“ als „Hosenhaus“ anredet, haben die ZuhörerInnen was zu Lachen. So unemphatisch trägt er seinen Antrag vor, daß man ihm kaum glauben mag, daß ihn das Schicksal der Menschen draußen vor dem Schloß besonders bewegt.

Als Wirtschaftsminister Lehment — für den der Kompromiß der Landesregierung ein klarer Sieg ist — von seiner Erfahrung berichtet, wie westliche Gewerkschaften „Wirtschaftsunternehmen zugrunde richten“, stöhnen die BesucherInnen auf den letzten Rängen: „Ohooho“, kommentieren sie die Weisheit des FDPlers. Bei dem Fazit seiner Rede hätte er eigentlich selbst rot werden müssen: „Die Unsicherheit bei den Arbeitnehmern ist damit beendet“, verkündet er großspurig und erntet nur lautes Lachen.

Auch CDU-Fraktionschef Rehberg, der sich von dem Kompromiß der Koalitionsparteien kürzlich noch voll überfahren fühlte, deutet seinen Widerstand nur noch ganz zart an. So ist es kein Wunder, daß nach der Rede von Ministerpräsident Gomolka — der nichts Neues zu sagen weiß — die Entscheidung erwartungsgemäß ausfällt: Das Parlament stimmt mit 31 zu 30 Stimmen für das Sanierungskonzept von Landesregierung und Treuhand.

Die DemonstrantInnen vor dem Schloß warten das Urteil der Parlamentarier gar nicht mehr ab. Sie sind bereits nach Hause gefahren, als der Landtag beschließt. Aber die Betriebsräte auf der Tribüne des Parlaments kündigen an: „Diese Entscheidung wird böse Folgen haben.“

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