: Ein lahmender Elefant
„heute“ und „heute-journal“ im ZDF/ Zweiter Teil einer taz-Serie über Fernsehnachrichten ■ Von Achim Baum
In Mainz liegt der Fall klar: Hier erscheinen die meisten Fernsehjournalisten als eine machtgeile, linke Bande; als „angepaßte Außenseiter“, die mit missionarischem Eifer ein völlig verzerrtes Bild von der Wirklichkeit verbreiten. So ungefähr sieht es jedenfalls eine Clique von Mainzer Medienforschern, die Elisabeth Noelle-Neumann sich dort herangezogen hat. Das Fernsehen, meint Frau Noelle, wirke auf das Publikum wie ein „getarnter Elefant“. Es trampelt auf der öffentlichen Meinung so lange herum, bis niemand mehr laut zu sagen wagt, wie schön doch in Wahrheit alles ist. Und ein tiefes Schweigen befällt die Menschen in unserem Lande.
Das alles klingt wie ein böses Märchen. Aber die in Mainz arbeitenden Journalisten scheint es sehr beeindruckt zu haben. Denn vieles deutet darauf hin, daß die Nachrichtenredaktion des ZDF mit ihren Sendungen heute und heute-journal um jeden Preis das Gegenteil dessen beweisen will, was die Noelle und ihre Gesellen behaupten. Das Resultat ist oft genug verheerend: ein glatter, unentschlossener, geradezu orientierungsloser Nachrichtenjournalismus, der uns da geboten wird.
Schon die extrem verkürzte Sprache der einzelnen Meldungen, die Aneinanderreihung immergleicher Sätze legt es darauf an, möglichst unerkannt zu entkommen. Der chinesische Außenminister hält sich in Bonn auf. Er führt Gespräche (was sonst?), im Mittelpunkt stand... (wer weiß es noch?). In Hannover wurde „die größte Computermesse der Welt“ eröffnet (ein unschädlicher Superlativ). Thema CeBIT. Möllemann sagte zur Eröffnung: Das wichtigste Ziel sei es, „Deutschland als Industriestandort zu erhalten“ (visionär!). Erst am nächsten Tag dann ein kurzer Film, in dem — in aller Ausgewogenheit — Schäuble, Klose und Genscher mit Qian Qichen reden; über Menschenrechte, jeder fünf Sekunden lang. Und der Reporter betont, daß „eigentlich alle“, auch CSU und FDP, mit dem Chinesen darüber gesprochen hätten.
Was nicht heißt, daß die Nachrichtenleute beim ZDF nicht auch mal frech werden. Der Korrespondent in London etwa scheint die Briten nicht so recht zu mögen. Immer wieder betont er, wie „dreckig“ es den Leuten geht. Und der Schatzkanzler verteilt — angesichts der Wahlen im April — jetzt „Schmiergelder“ an das Volk. Diese Wortwahl wünschen wir uns demnächst auch für Steuergeschenke Theo Waigels. Doch darauf wartet man beim ZDF wohl vergebens. Ebenso wie man eine klare Kritik, den Kommentar mit offenem Visier, im Mainzer Programm mit der Lupe suchen muß. Statt dessen überwiegt der vielsagend-blumige Stil: „König Salomon läßt grüßen“, sagt Journal-Moderator Alexander Niemetz, endlich habe man in Schwerin „eine bibelfeste Lösung“ gefunden — was immer auch damit gemeint ist...
Manche Pampigkeit wird hingegen in den Abmoderationen versteckt. Da drückt nicht nur CSU- Mann Peter Voß noch mal schnell seinen Stempel auf das, was schon gelaufen ist. Nach einem Beitrag über die Einigung der SPD zum europäischen Vertrag platzt es aus Niemetz heraus: „Na, da sind sie ja wieder alle auf Linie.“ In solchen Nachklapps offenbart sich nicht nur ein schlechter journalistischer Stil. Sie bleiben auf eine jämmerliche Art in der Studioluft hängen ud entlarven die Ohnmacht eines ansonsten unverständlich nuschelnden Journalisten um so mehr.
Die vage Nachrichtensprache und klammheimlich untergejubelte Meinungen verbinden sich so zu einer bedeutungsschweren Sauce. Die Nachrichten werden gewissermaßen von hinten aufgerollt. Nicht einzelne Sachverhalte werden wiedergegeben, sondern eine Welt von scheinbar unabänderlichen Tatsachen, die irgendwie uns alle betreffen. Und dann, wenn es um den human touch geht, um „Hoffnungen und Befürchtungen“ der Werftarbeiter oder einem Politiker, der „tief deprimiert“ und „tief gezeichnet“ ist, sind die ZDF-JournalistInnen bei sich. Dann lassen sie die feuilletonistische Sau raus, und das saftige Pathos tritt an die Stelle dessen, was eigentlich nüchtern gesagt werden müßte. Gerade über diesen Umweg aber bekommt Frau Noelle vielleicht doch noch recht, denn diese Art von Fernsehen kann in der Tat „träge und traurig“ machen.
Die bange Frage bleibt, ob der neue Chef beim heute-journal, Wolf von Lojewski, hier etwas retten kann? Seine erfrischend normale Sprache jedenfalls gibt Anlaß zur Hoffnung. Wie zu hören war, haben die ARD-Tagesthemen Lojewskis Bewerbung abgelehnt, bevor er zum ZDF ging. Mag sein, daß man es in Hamburg noch bereuen wird.
ZDF-Intendant Stolte scheint das Dilemma des politischen Journalismus in seinem Haus inzwischen erkannt zu haben. Die private Konkurrenz, menetekelte er vor einigen Wochen, befinde sich „auf der Überholspur“ auch in Sachen Information. Wie RTLplus Gas gibt, darüber mehr am kommenden Samstag.
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