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Unterm Strich

Sir Karl Popper wird in diesem Jahr mit der Goethemedaille geehrt. Wie das Goethe-Institut in München am Freitag mitteilte, werden außerdem die Schriftstellerin Elisabeth Augustin aus den Niederlanden und der Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Hugo Rokyta aus der Tchechoslowakei ausgezeichnet. Die Auszeichnungen werden am 22. März in Weimer überreicht. Die 1954 vom Vorstand des Goethe- Instituts gestiftete Medaille wird an Persönlichkeiten verliehen, die sich hervorragende Verdienste um die deutsche Sprache im Ausland erworben oder „besondere wissenschaftliche oder künstlerische Leistungen vollbracht haben, welche der Vermittlung zwischen der deutschen Kultur und der Kultur anderer Länder sowie einem verständnisfördenden Austausch dienen“

Und noch eine fällige Ehrung: Der Fachbereich Philosophie & Sozialwissenschaften der Freien Universität FU Berlin wird dem Philosophen, Hermeneutiker und Religionswissenschaftler Hans Jonas den Doktor der Philosophie ehrenhalber verleihen. Jonas wolle zur Übernahme der Ehrendoktorwürde im Juni nach Berlin kommen, teilte die FU am Donnerstag mit. Der 1903 in Mönchengladbach geborene und jetzt in New York lebende Jonas wurde vor allem durch „Das Prinzip Verantwortung“ (1979), dem „Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation“, bekannt. 1987 erhielt er den Friedenpreis des Deutschen Buchhandels, der ja bekanntlich nicht immer den richtigen trifft.

Trotz eines hohen Numerus Clausus im Fach Biologie sind die Kapazitäten in diesem Bereich an den Universitäten in den neuen Bundesländern nur zu 60 bis 80 Prozent ausgelastet. Viele Studenten verzichten nämlich auf einen freien Biologie-Studienplatz im Osten und nehmen lieber Wartezeiten bis zu neun Semstern auf einen Studienplatz im Westen in Kauf. Als Gründe nannten Hochschullehrer vor allem eine hohe Spezialisierung und einen veralteten und lückenhaften Fächerkanon. Daneben seien die räumliche Situation der Hochschulen, die oft nur über einen einzigen Praktikumsraum mit wenigen Plätzen verfügten, sowie die schlechten Wohnmöglichkeiten ausschlaggebend. Um diese Entwicklung zu stoppen, müßten die Fakultäten im Osten „schnellstmöglich“ ihre Neuausstattung bekommen. Laufende Übernahme- und Berufungsverhandlungen müßten beschleunigt werden.

Die Berliner Schaubühne will während der Asbest-Renovierung auf der Bühne der Freien Volksbühne spielen. Man könne es sich finanziell nicht leisten, nach der Sommerpause im August für acht Wochen auf zwei Säle zu verzichten, in denen die „Feuerschutzpanzer-Türen“ ausgetauscht werden müßten, gab die Direktion bekannt. Eine „neue Spielstätte“ wolle man sich mit der Volksbühne nicht sichern, beschwichtigte man im Anschluß: Die Zustimmung von der Freien Volksbühne stehe allerdings noch aus. Nach den Plänen von Kultursenator Ullrich Roloff-Momin (parteilos) soll die Volksbühne in Zukunft als „Theater der Nationen“ geführt werden. Das Ensemble und der Intendant sind im Übrigen zum Ende der Spielzeit 1991/92 gekündigt.

Die erste Retrospektive des Bitterfelder Malers Jochen Seidel (1924-1971) ist seit gestern in der Berliner Staatlichen Kunsthalle zu sehen. Der Schwerpunkt der 60 Bilder und 100 Zeichnungen liegt auf den Jahren 59 bis 71. Seidel begann 1946 ein Studium in Halle, arbeitete aber schon bald als freier und als Dekorationsmaler. Von seinen Band- und Agitationsbildern für Hallenser Industriekombinate und die Leipziger Messe ist nichts mehr erhalten. Als sich die Formalismus-Debatte 1953 in der DDR zuspitzte, folgte Seidel seinem Freund Hermann Bachmann nach West-Berlin und schrieb sich an der Hochschule für Bildende Künste ein. Bis Mitte der 50er Jahre hatte sich Seidel dort von gegenstandsgebundener Malerei zum abstrakten Tachismus entwickelt. Aus dieser Phase sind einige sehr farbintensive Gemälde in der Kunsthalle zu sehen. Eine andere Werkgruppe besteht aus monochromen Arbeiten aus den Jahren 1963/64. Seidel siedelte nach einen USA- Stipendium nach New York über. Seine Poem Paintings, großformatige und zumeist abstrakte Bilder. Eine einzige Einzelausstellung wurde ihm 1968 im dortigen Goethe-Institut gewidmet. Nachdem sich der Künstler Vermutungen zufolge 1971 in seinem Atelier am Broadway erhängt haben soll, versteigerten Nachbarn seinen Nachlaß für 160,50 Dollar. Heute sind Seidels Bilder in vielen amerikanischen Sammlungen präsent. Die Ausstellung wird bis zum 26. April gezeigt und geht anschließend nach Halle/Saale und Köln.

Die beiden deutschen PEN-Zentren wollen in Gesprächen eine gegenseitige Annäherung „von unten“ erproben. Initiator von vorläufig sechs Berliner Veranstaltungen ist das PEN-Zentrum (Ost). Um „Selbstaufklärung“ zum Thema „Dageblieben - Weggegangen“ bemühten sich am Donnerstagabend in der Literaturwerkstatt Berlin-Pankow Schriftsteller aus dem Osten, nämlich Fritz Rudolf Fries, Jochen Laabs und Brigitte Struzyk, und die West-Autoren Gerhard Zwerenz, Klaus Schlesinger, Bernd Jentzsch und Katja Lange-Müller. Ihre Biographien haben sämtlich in der DDR begonnen. Zwerenz, mit 66 Jahren ältester und streitbarster unter den Diskutierenden, wechselte bereits 1957 in die Bundesrepublik. Von den ostdeutschen Autoren verlangte er jetzt Realismus. Sie müßten endlich begreifen, einer „kaputten Sache großartige Energien hinterhergeworfen“ zu haben. Jentzsch erinnerte daran, wie dieBiermann-Ausbürgerung ihn 1976 während eines Aufenthalts in der Schweiz überraschte. Er habe einen Protestbrief an Honecker geschrieben und damit ein „Rad in Bewegung“ gebracht. Die Stasi setzte seine Familie unter Druck und drohte mit Gefängnis. „Ich bin nicht weggegangen, sondern nicht zurückgekommen“, sagte er. „Die Entscheidung hieß: Bautzen oder Zürich.“ Das erste Buch von Fries, Oobliadooh, erschien 1966 im Westen. Der Autor berichtete, wie er für diese Unbotmäßigkeit mit dem Verlust seiner Stellung in der Akademie der Wissenschaften bestraft wurde. Selbst spanische Übersetzungen seien „storniert“ worden. Trotzdem blieb er. „Ich bereue es nicht. Es gibt keine Gelegenheit mehr im Leben, diese DDR noch einmal zu erleben“, erklärte er.

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