piwik no script img

Lesung mit zwei Einkaufstüten

■ Holly-Jane Rahlens stellt im Amerika-Haus »Einmal Berlin-Brooklyn und zurück« vor

Mit dem Heimweh ist das so eine Sache. Allein das deutsche Wort klingt verstaubt und abgenutzt. Man schwelgt in ganz privaten, mit der Zeit kitschig gewordenen Erinnerungen, die allenfalls die eigene Sentimentalität befriedigen, vernünftige Menschen aber zu Tode langweilen.

Die Journalistin und Autorin Holly-Jane Rahlens ist eine der rühmlichen Ausnahmen. Der gebürtigen New Yorkerin, die seit zwanzig Jahren in Berlin zu Hause ist, gelingt es — ohne Exklusivvertrag und Starallüren — einen Abend mit viel Heimweh und Erinnerungen zu füllen, ohne daß man vor Rührung gleich heulen muß. Rahlens liest im Amerika-Haus auf Einladung des »Literaturclubs« aus ihrem neusten Text Berlin-Brooklyn and back. Als der Saal schon aus allen Nähten platzt, nimmt sie auf ihrem pinkfarbenen Kontrabaßhocker Platz, wartet, bis das Oberlicht abgedunkelt ist.

Ihre Geschichte beginnt vor zwanzig Jahren im Skulpturengarten des Museums of Modern Art, New York. An Picassos Ziege gelehnt, die wie ein heidnischer Liebesgott auf einem Sockel thront, verliebt sich Holly-Jane in einen gewissen Jürgen und folgt ihm stante pede nach Berlin. Eines Tages kehrt sie, ausgerüstet mit einem handgroßen Diktiergerät und einigen Mikrokassetten, nach Brooklyn zurück und geht auf Erinnerungsjagd. Der erste Ausflug führt sie auf den Hügel von Forest Hills, den sie in ihrer Schulzeit zu erklimmen gelernt hat. Die Sonne scheint, und der Weg ist gesäumt von hübschen kleinen Villen aus rotem Klinker. Die Idylle ist perfekt. So perfekt, daß die heimgekehrte New Yorkerin einen Autodieb in flagranti ertappen könnte, wenn sie ihn nicht für den rechtmäßigen Autobesitzer hielte. Erst als er schon außer Reichweite ist, begreift sie die Situation. »Welcome home, Stupids«, zischelt sie in ihr Diktiergerät und sucht, so schnell sie kann, das Weite.

Holly-Jane Rahlens erzählt ihre Anekdote mit Pfiff und feiner Ironie. Wenn sie in Erinnerungen schwelgt, tut sie das auf englisch, wenn sie das heutige New York beschreibt, tut sie es auf deutsch. »Ich habe New York verlassen, aber New York mich nicht. Ich rede immer noch wie eine New Yorkerin, ich denke wie eine...«, erklärt Rahlens. Zu ernst soll man das nicht verstehen, gehört es doch zum Heimweh, daß man am Ende überhaupt nicht zurückkehren will. Berlin-Brooklyn and back ist deshalb auch ein vorläufiger Abschied von Amerika und der Kindheit, in der Rahlens Bagels mit Weichkäse (noch ohne Lachs) gegessen und im Gemischtwarenladen für drei Dollar eine Eau-de-Cologne- Flasche gestohlen hat.

Bagels sind das bestimmende Thema des Abends: Röllchen aus Brötchenteig, die mit Mohn bestreut sind und jeder für einen Doughnut hält. Zwecks Anschauung und gemeinschaftlichen Verzehrs hat Rahlens 57 Bagel-Halbstücke aus den Untiefen zweier Einkaufstüten (»Macy's«) hervorgezaubert. Die Zuschauer greifen zu, lauschen — kauend — Rahlens Geschichte.

Immer wieder geht es um »Gossip«, was im Amerikanischen eine noch ordinärere Sache als Tratschen sein muß. Hollys Freundin Marcia ist so eine Klatschbase, eine »typische New Yorkerin«. Am Rande einer Cocktailparty, unterbrochen von allerlei psychopathischen Gästen, japst und quiekt Marcia ihre neuste Männergeschichte in Hollys Diktiergerät. Der Mann erfüllt natürlich alle nur denkbaren Klischees: Er sieht abgöttisch gut aus, trägt eine Amani- Uhr, ißt Bagels mit Kaviar. Nur leider ist er, es mußte so kommen, unrettbar in Luigi aus Milano, seinen interior decorator verliebt. Marcia bleibt allein zurück, in Einklang mit den Statistiken, die einer 40jährigen New Yorkerin eine statistisch höhere Wahrscheinlichkeit einräumen, von einem Blitzschlag getroffen zu werden, als einen Boyfriend zu finden. Also trägt Marcia ihre Fingernägel weiterhin zur allwöchentlichen Maniküre, beugt und dehnt allmorgendlich ihre »Hauptmuskeln« und echauffiert sich vor allem darüber, daß der schöne Jüngling die Geschmacklosigkeit besessen hat, seine Bagels mit Kaviarersatz zu essen.

Holly-Jane Rahlens gibt sich ungerührt dem belanglosen Geschwätz hin, übertreibt, spottet und unterhält. Wie eine kleine My Fair Lady, mit Schnürstiefeln an den Füßen, sitzt sie kerzengerade auf ihrem Hocker, lästert und lacht. 1989 hat sie ihr Stück One fine Day als One-woman-Show fürs Fernsehen produziert, seit Jahren schreibt sie die Kolumnen in der offiziellen Berlinale-Zeitung. Es geht ihr nicht um Literatur und nicht um soziologische Milieustudien. Rahlens ist Kolumnistin, Menschenkennerin. Sie trifft den Tonfall des Abends, wenn sie ihre ZuschauerInnen mit dem Rezept für mohnbestreute Bagels in der Hand entläßt. Mirjam Schaub

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen