: Pilatus am Nil
Am ersten Weihnachtstag 1991 wurde der äyptische Autor Ala Hamed zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Die wirksame Verknüpfung von Blasphemiegesetzen und Staatssicherheit untersucht ■ Walter Saller
Harun al-Raschid, den Bagdader Märchenkalifen aus 1001 Nacht, kennt jedes Kind. Sein Sohn Ma'mun indes ist nur dem beschlagenen Historiker bekannt. Völlig zu unrecht. Denn der Kalif Ma'mun war es, der die erste islamische Inquisition ins Leben rief. Doch, merkwürdig genug: nicht die im Glauben als zu lau Befundenen mußten unter Ma'mun um Leib und Leben bangen. Opfer wurden ausgerechnet jene, die sich als strenggläubige Verfechter eines unabänderlichen Kismet und eines buchstäblichen Koranverständnisses zu erkennen gaben. Wer sich dagegen zu einem weitgehend vernunftbetonten Gottesbild bekannte, blieb unbehelligt.
Zwanzig Jahre arbeitete diese ungewöhnliche Inquisition, bis sie im Jahre 847 von Ma'muns Nachfolger abgeschafft wurde. Selbstverständlich vergaß der neue Kalif nicht, die Häretiker von gestern zu Heiligen von heute zu weihen und die rationalistische Glaubensauffassung Ma'muns als Irrlehre zu verdammen. Mit durchschlagendem Erfolg. Denn dieses orthodoxe Ketzerverständnis erwies sich als dauerhaft — ein Tatbestand, den der 53jährige ägyptische Steuerbeamte und Freizeitschriftsteller Ala Hamed bestätigen kann.
Eine Reise zum Paradies ruft die Staatssicherheit auf den Plan
Die Geschichte, wie der Angestellte im Katasteramt zum Angeklagten eines Ketzerprozesses wurde, ist schnell erzählt. Im April 1988 erscheint ein von Hamed verfaßter Roman mit dem Titel Fahrt durch den Geist eines Mannes. Beschrieben wird eine Prophetenreise zum Paradies, verbunden mit Spekulationen über Sinn und Unsinn von Religion. Der 239-Seiten-Roman erregt zunächst kaum Aufsehen. Dies ändert sich freilich, als er gut anderthalb Jahre später in den Geruch eines blasphemischen Machwerks gerät und die ägyptischen Verfolgungsbehörden in Gestalt eines „Gerichtshofs für Staatssicherheit“ auf den Plan ruft.
Eine strafrechtlich bindende Entscheidung allerdings, ob die Fahrt durch den Geist eines Mannes blasphemisch sei oder nicht, mögen die Hüter der ägyptischen Staatssicherheit dann aber doch nicht treffen. Obwohl sie dazu — trotz des weitgehend säkularen Selbstverständnisses der Arabischen Republik Ägypten — befugt sind. Die Rechtsgrundlage dafür existiert seit 1981, dem Jahr der Notstandsgesetze, die nach dem Mord an Präsident Anwar Sadat in Kraft traten. Mit den Artikeln98 und 161 wurde der Tatbestand der „Verunglimpfung einer Offenbarungsreligion“ ins Strafgesetz aufgenommen — offenbar als Konzession an die erstarkten islamischen Kräfte am Nil. Damit ging man spürbar auf Distanz zu der von Sadat geforderten Trennung von Staat und Religion. Gegen ein Urteil auf Basis der Notstandsgesetze, zu denen die Blasphemie-Paragraphen zählen, gibt es keine Berufungsmöglichkeit.
Die Sicherheitsrichter wenden sich, wohl um die leidige Sache vom Tisch zu haben, mit der Bitte um Rat an die Religionsrichter der Islam- Universität Al-Azhar. Die Kairoer Korangelehrten lassen sich viel Zeit beim Examinieren der Fahrt durch den Geist eines Mannes.
Die Blasphemieprüfer spielen den Ball zurück: Der religionskritische Roman ist auch sozial gefährlich
Erst im März 1990 reagieren die Blasphemieprüfer. Die Liste des Verwerflichen, die die Azhar- Scheichs nach Prüfung von Hameds Roman aufstellen, ist lang: Der Koran werde in ihm als erschaffen, als Menschen- und nicht als Gotteswerk also, bezeichnet. Er leugne Gott, mache seine Propheten zu Versagern (Moses, der sich vergeblich müht, mit seinem Stab Wasser aus dem Felsen zu schlagen) und senilen Narren (Noah, der mit Papierbooten spielt), verneine den Glauben an ein umfassendes Schicksal und stelle Auferstehung, Jüngstes Gericht, Himmel und Hölle in Abrede. Ergo: Die Fahrt... sei zweifellos blasphemisches Teufelswerk, indem sie die Quellen des Islam verhöhne. In erster Linie aber rufe sie zur Zerstörung der sozialen Grundlagen Ägyptens auf.
Mit diesem Urteil zogen die Azhar-Scheichs die Tür mit jener Selbstbeherrschung zu, die jedes Zuknallen bei weitem übersteigt. Denn mit der Dimension „sozial“ zwingen die religiösen Richter ihre staatlichen Kollegen in eine quasi verdoppelte Zuständigkeit: einmal auf Grundlage der Blasphemie-Paragraphen und zum anderen als Hüter der sozialen Staatsgrundlagen. Die müssen noch nicht einmal explizit auf die Rolle des Islam als Staatsreligion hinweisen. Wie zufällig ergibt sich durch das kleine Beiwort „sozial“ ein gewichtiger Zusatzeffekt: Führt eine Verhöhnung der Religion zur Zerstörung der sozialen Grundlagen, dann untermauert dies das Ansinnen aller islamischen Staatstheoretiker von Marokko bis Malaysia: die unauflösbare Einheit von „din wa daula“, von Religion und Staat. Kurz und gut, zwar finden die Islam-Richter im Gegensatz zu Pontius Pilatus überreichlich Schuld an Hamed, doch wie der Römer wollen sie, daß andere den Stab über den Stab brechen.
Die Zuständigkeit in Sachen Hamed geht nun erneut an einen „Gerichtshof für Staatssicherheit“ über. Und der setzt zunächst einmal die Exekutive in Marsch. Ende 1990 wird Hamed festgenommen und bleibt vier Monate in Haft. Im April 1991 wird er gegen Zahlung einer Kaution freigelassen. Gleichzeitig versucht der Gerichtshof für Staatssicherheit, der weder ernsthaft an eine Staatsgefährdung durch Hamed glaubt noch das Kalkül der Religiösen aufgehen lassen möchte, den Fall wieder loszuwerden. Man sei, so die hilflos achselzuckende und gänzlich dem Vorbild Pilatus verpflichtete Begründung, eigentlich nicht recht zuständig. Atef Sidki, Premierminister und Militärgouverneur in Personalunion, verwirft in seiner Funktion als Militärgouverneur die behauptete Unzuständigkeit. Freilich, durch seine politische Doppelexistenz ist Sidki beinahe schon zum Schielen — in diesem Fall auf muslimische Kräfte — gezwungen. Gleichzeitig ordnet er jedoch ein neues Verfahren an. Vermutlich in seiner Funktion als Premierminister.
Urteil: acht Jahre Gefängnis wegen schwerer Verstöße gegen die staatliche Sicherheit
Am 25.Dezember 1991 eröffnet der neu berufene Richter am Gerichtshof für Fragen der Staatssicherheit, Mohammed Abdel Razek, das zweite Verfahren. Noch am selben Tag verkündet Razek ein bemerkenswertes und in der jüngeren Geschichte Ägyptens einmaliges Urteil: Wegen schwerer Verstöße gegen die staatliche Sicherheit und — wie von den Korangelehrten bereits vorgedacht — gegen den sozialen Frieden wird der Steuerbeamte Ala Hamed zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Doch damit nicht genug. Richter Razek will offenbar auch das Kulturbiotop, in dem ein Hamed gedeihen konnte, trockenlegen. Folglich werden der Verleger des Blasphemie-Romans sowie dessen Drucker ebenfalls mit je acht Jahren Gefängnis bedacht. Ala Hamed wird eine zusätzliche Geldstrafe in Höhe von 2.500 ägyptischen Pfund auferlegt und ein arbeitsrechtliches Disziplinarverfahren gegen ihn in Gang gesetzt. Die greifbare Restauflage der Fahrt durch den Geist..., die für alle Beteiligten endgültig zur Geisterbahn geworden ist, wird beschlagnahmt und der Vernichtung zugeführt.
„Einen solchen Fall hat es nach meiner Erinnerung nie vorher gegeben, dieser Prozeß verletzt alle juridischen Normen“, meint unmittelbar nach der Urteilsverkündung Neged Borai, der völlig perplexe Verteidiger von Hamed. Und ein fassungsloser Hamed ergänzt: „Nicht im Traum habe ich gedacht, daß mein Buch solch einen Wirbel verursachen könnte. Ein Verbot hielt ich für möglich, aber nie und nimmer, daß wir nun alle ins Gefängnis gehen sollen. Die Aussagen in meinem Buch sind doch nur ganz normale Gedankengänge, wie sie jedermann in den Sinn kommen. Die Fahrt... ist eine fiktive Geschichte, und es ist daher ungerecht, zu behaupten, alle die handelnden Charaktere würden meine persönliche Meinung wiedergeben.“
Mehr als die Bestrafung des weitgehend unbekannten Autors sorgen indes die Urteile gegen den ebenso renommierten wie couragierten Verleger Mohammed Madbuli und den Drucker Fathi Fadi für heftige Proteste von Seiten der ägyptischen Öffentlichkeit. Viele Intellektuelle äußern die Befürchtung, daß dieser Fall Verleger künftig davon abhalten wird, Bücher ohne einen „Sicherheits- und Blasphemie-Check“ zu veröffentlichen. Eine Wochenzeitung nahm den Fall zum Anlaß, eine Liste von 55 literarischen Werken zu veröffentlichen, die aus religiösen Gründen in Ägypten nicht verkauft werden dürfen — darunter so berühmte wie Die Kinder unseres Viertels des äygptischen Literatur-Nobelpreisträgers Nagib Mahfuz.
Die ägyptische Menschenrechts- Organisation EOHR appelliert an Atef Sidki, das Urteil nicht zu unterschreiben. Sie wendet sich dabei bewußt an den Premierminister Sidki, in der Hoffnung, der Staatsmann möge das Urteil des Militärgouverneurs aufheben. „Die Verurteilung“, so die Begründung der Menschenrechtler, „stellt eine Verletzung des Rechts auf freien Ausdruck, freie Meinungsäußerung und künstlerische Freiheit dar. Es ist das erste Mal in der neueren Geschichte Ägyptens, daß ein Autor wegen eines seiner literarischen Werke eingekerkert wird.“ Mehrere Schriftsteller bitten Präsident Mubarak um Hilfe. Der „Rais“ aber pocht auf das Prinzip der Gewaltentrennung: „Die Urteile wurden von einem Richter verhängt, und wenn mir jemand sagt, ich soll die Gerichtsentscheidung aufheben, so muß ich sagen: Das kann ich nicht!“
„Der Roman ist von untergeordneter Qualität“, meint Gamal al-Ghitani, bekannter ägyptischer Schriftsteller und Kulturredakteur der Tageszeitung 'Al-Achbar‘. „Aber darum geht es nicht. Es ist das erste Mal, daß ein ägyptischer Gerichtshof ein solches Urteil ausgesprochen hat. Und das ist ein gefährlicher Präzedenzfall. Wir dürfen es nicht zulassen, daß die religiösen Autoritäten künstlerische Arbeiten zensieren. Ich verteidige somit nicht nur Mr.Hamed, ich verteidige auch mich selbst. Wir haben daher den Premierminister ersucht, das Urteil nicht zu ratifizieren. Darüber hinaus aber wollen wir, daß die Notstandsgesetze insgesamt abgeschafft werden.“
Doch es gibt auch Intellektuelle, die Hamed jegliche literarische Bedeutung absprechen. „Sicher“, meint der renommierte Kairoer Journalist und Professor für Massenkommunikation Hassan Ragab, „das Urteil ist ein Skandal. Aber Hameds Buch ist eine dümmliche Mischung von geschmacklosen Provokationen und geistlosen Plattheiten. Eigentlich ist es eine Schande, daß bei der Vielzahl von begabten, aber unbekannten ägyptischen Autoren ausgerechnet ein Hamed nun in breiten Kreisen bekannt ist. Abgesehen davon, glaubt in Kairo ohnehin niemand, daß das Urteil auch tatsächlich vollstreckt werden wird.“
Nach telefonischen und schriftlichen Morddrohungen islamischer Eiferer hat Hamed, Vater dreier Kinder, seine alte Wohnung aufgegeben und ist umgezogen. Auch zur Arbeit geht er nicht mehr. „In der Steuerbehörde werde ich von meinen Kollegen geschnitten. Niemand spricht mehr mit mir.“ Die Überzeugung von Hassan Ragab, das Urteil käme wohl kaum zur Vollstreckung, teilt Hamed nicht. Und so wartet er. Wartet auf das nächste Klingelzeichen an der Tür, das vielleicht einen Gnadenakt des Premierministers ankündigt, oder aber mit Handschellen bewehrte Beamte, die ihn seines Buches wegen zum Strafantritt holen.
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