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Warum die IWF-Rezepte versagen

In Brasilien wächst die Inflation trotz der vom Internationalen Währungsfonds verordneten Rezession  ■ Aus Rio Astrid Prange

Selbst der betont optimistische Wirtschaftsminister Brasiliens, Marcilio Marques Moreira, mußte sich jetzt von einem Wunschtraum verabschieden: Vor den Abgeordneten des brasilianischen Parlaments räumte er ein, daß die Inflation bis Dezember dieses Jahres garantiert nicht auf zwei Prozent im Monat absinken wird, wie er jüngst gegenüber dem Weltwährungsfonds (IWF) versichert hatte. Trotz rezessiver Wirtschaftspolitik, Privatisierung, Marktöffnung und der Anhebung der öffentlichen Tarife pendelt die monatliche Inflation in Brasilien seit einem halben Jahr über der 20-Prozent-Marke.

Für März und April, wenn die Rekordernte der brasilianischen Landwirtschaft den Markt überschwemmen wird, sagen die Experten ein Absinken der Inflation auf 20Prozent im Monat voraus. Was danach kommt, steht in den Sternen.

Wie schwierig es ist, den Teufelskreis der Geldentwertung zu durchbrechen, zeigt unter anderem die Abhängigkeit zwischen Auslandsverschuldung und der Öffnung des brasilianischen Marktes, wie sie der Währungsfonds fordert. Um Druck auf die kartellisierte Industrie Brasiliens auszuüben, plant Wirtschaftsminister Moreira, die Schutzzölle bereits im Oktober dieses Jahres zu senken und nicht erst, wie vorgesehen, im Januar 1993.

Der brasilianische Industrieverband (CNI) warnte jedoch die Regierung vor den Konsequenzen dieser Außenhandelspolitik: Durch die externe Konkurrenz würden nicht nur die Preise, sondern auch die Handelsbilanz nach unten gedrückt. Für US-Firmen, die ihre Produkte auf dem krisengeschüttelten amerikanischen Markt zur Zeit nicht verkaufen können, sei Brasilien als Absatz für Überschußkapazitäten äußerst interessant. Um die Auslandsschulden zu tilgen, ist der Exportriese Brasilien jedoch auf einen satten Überschuß in der Handelsbilanz angewiesen.

Das orthodoxe IWF-Rezept, der Inflation mit brutaler Rezession den Garaus zu machen, ist zweischneidig. Die extrem hohen Zinsraten, die einerseits Brasiliens Wirtschaftswachstum bremsen, wirken andererseits auf ausländisches Kapital sehr anziehend. Nach Angaben des Industrieverbandes ergoß sich von Dezember 1991 bis Februar 1992 ein Geldregen von sechs Milliarden Dollar über die brasilianischen Börsen. „Zwar werden durch den Devisenschub die Geldreserven des Landes erhöht, doch in einer inflationären Wirtschaft erschwert dies die Kontrolle über die im Umlauf befindliche Geldmenge“, äußern sich die Industriellen besorgt.

Aloizo Mercadante, Abgeordneter für die Arbeiterpartei (PT) im brasilianischen Kongreß, drückt sich deutlicher aus: „Dieses Geld verkörpert keine Investitionen, sondern bedeutet Ausbeutung“, sagte er. Es handele sich um spekulative, vorübergehende Geldströme.

Die vom Währungsfonds geforderte Sanierung der Staatsfinanzen ist der Regierung bis jetzt ebenfalls noch nicht gelungen. Das Privatisierungsprogramm hat die Staatskasse nicht wesentlich gefüllt, da als Zahlungsmittel abgewertete Schuldentitel zugelassen wurden. Die Anhebung der öffentlichen Tarife wie Telefon, Strom, Postgebühren und Treibstoff um real 15Prozent in den ersten zwei Monaten des Jahres hat zunächst einmal einen neuen Inflationsschub und das Anwachsen der Arbeitslosigkeit ausgelöst.

Nach Ansicht des PT- Wirtschaftsexperten Aloizo Mercadante liegt der Schlüssel zur Bekämpfung der Inflation in einer Steuerreform. Mit den zusätzlichen Einnahmen könnte das brasilianische Haushaltsdefizit, größter Motor der Inflation, verringert werden. „Doch bis jetzt wurde uns noch kein entsprechender Antrag vorgelegt“, erklärt der Abgeordnete. „Je näher die Gemeindewahlen im Oktober rücken, desto geringer ist die Chance einer solchen Reform.“

Daß die Verschuldung den Spielraum für notwendige Investitionen drastisch einschränkt, zeigt ein Blick auf den brasilianischen Staatshaushalt. Von den rund 93 Milliarden Dollar gehen allein 47Prozent für die Refinanzierung der Länderschulden beim Bund drauf. Für 90Prozent der rund 120 Milliarden Dollar Auslandsschuld ist der öffentliche Sektor verantwortlich. Hinzu kommt, daß sich Brasilien gegenüber dem Pariser Club verpflichtet hat, bis 1993 vier Milliarden Dollar seiner Schulden zu tilgen.

Im vergangenen Jahr überwies das Land neun Milliarden Dollar an seine ausländischen Gläubiger. Um den diesjährigen Forderungen nachzukommen, wurde der Haushalt 1992 bereits um 21 Milliarden Dollar gekürzt. Falls dies nicht ausreicht, wird die Notenpresse angeworfen, womit der Teufelskreis der Inflation wieder in Gang käme.

Der PT-Wirtschaftsexperte Aloizo Mercadante ist davon überzeugt, daß sich die brasilianische Inflation von 25Prozent im Monat nicht mehr mit traditionellen Methoden bekämpfen läßt. „Wir haben gegenüber dem Währungsfonds bereits acht Absichtserklärungen abgegeben. Ergebnis: die Wirtschaft stagniert seit einem Jahrzehnt, und die Inflation treibt weiter ihr Unwesen.“ Statt Rezession bräuchte Brasilien dringend einen Wachstumsschub.

Schon zu lange wird der Bevölkerung versichert, die Rezession drücke die Preise. Zwei Jahre nach dem Amtsantritt von Präsident Collor hat die brasilianische Regierung endgültig ihre Glaubwürdigkeit verloren. „Zwar besteht nicht die Gefahr eines Aufstandes wie in Venezuela, doch der Druck auf die Regierung wird zunehmen“, meint Aloizo Mercadante.

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