: Tikkie Botha stimmt für de Klerk und Cricket
Südafrikas Weiße strömten gestern an die Wahlurnen, um über die Fortsetzung der Reformen zu entscheiden ■ Aus Johannesburg Hans Brandt
„Ja!“, ruft Tikkie Botha. „Natürlich habe ich ,Ja‘ gestimmt. Ein ,Nein‘ würde doch bedeuten, daß wir von vorne anfangen: Jeder kämpft gegen jeden.“ Botha, Mitte fünfzig, strähniges weißes Haar, morgens um neun schon betrunken, ist gerade aus dem Wahllokal im Johannesburger Stadtsaal getorkelt. Jetzt steht er am Straßenrand, umgeben von einer Gruppe lachender Schwarzer, und erklärt ihnen heftig gestikulierend seine Freundschaft. „Als unsere Mannschaft da auf das Spielfeld marschierte — das war toll, wunderbar. Ich habe mich so stolz gefühlt.“ Gemeint ist die südafrikanische Cricketmannschaft, die in den Weltmeisterschaften in Australien gerade das Halbfinale erreicht hat. „Wenn das ,Nein‘ gewinnt“, warnt Botha mit erhobenem Finger, „kein Cricket, kein Fußball, nichts mehr!“
Nicht nur bei Tikkie Botha, der in der Vergangenheit zweifellos ein Wähler der ultrarechten Konservativen Partei (CP) war, hat das Referendum ein Umdenken verursacht. Liberale Wähler stimmen „Nein“, weil sie im letzten Augenblick doch zuviel Angst vor einer schwarzen Regierung haben. Und CP-Leute werden plötzlich realistisch in ihrer Einschätzung der Politik der Ultrarechten. Das macht es besonders schwierig, das Ergebnis der Abstimmung vorherzusagen. Wie wohl nie zuvor an einer Wahl beteiligen sich weiße Südafrikaner an diesem Referendum. Im ganzen Land bildeten sich gestern lange Schlangen und verursachten Verkehrsstaus. Im Johannesburger Stadtsaal gibt es keinen Zweifel, daß die „Ja“-Wähler in der übergroßen Mehrheit sind. Die Mitarbeiter der CP sitzen bedrückt an ihrem verlassenen „Nein“-Tisch. Bei ihnen melden sich keine Wähler an. „Stimmt ,Ja‘!“ zwitschert am „Ja“-Tisch eine alte Frau mit grell-grünem Hut fröhlich. Und die Leute in der Schlange nicken ihr bestätigend zu.
Ganz anders in Triomf, im Westen von Johannesburg. In den fünfziger Jahren war dies das berühmte Sophiatown, der pulsierende, rassisch gemischte Vorort. Jetzt ist Sophiatown abgerissen, wohnen hier vorwiegend konservative Weiße. Tiomf heißt „Triumph“, doch will hier niemand eine Voraussage wagen. „Es hat schwere Einschüchterung gegeben“, behauptet ein CP-Mitarbeiter. „Arbeitgeber haben ihren Angestellten mit Entlassung gedroht, wenn sie ,Nein‘ stimmen.“ Von zehn befragten Wählern haben hier dennoch sieben die Reformen abgelehnt. „Unsere ganze Familie hat ,Nein‘ gestimmt“, sagt ein Mann, der seine alten Eltern zur Abstimmung begleitet hat. „Wir wollen Gerechtigkeit für uns, für die Buren.“ In Randfontein, einem kleinen Bergbauort 50 Kilometer westlich von Johannesburg, haben die CP-Mitarbeiter meterhoch und dutzendfach „Nein“ an den Zaun der Volksschule geschrieben. Die Parteianhänger werden mit Tee, Kuchen und Salat versorgt, während der örtliche CP-Parlamentarier mit ihnen plaudert. „Mandela ist schlecht für unser Land“, wettert Jan van Niekerk (64). „Die Andersfarbigen sind noch lange nicht weit genug. Die sind in ihrer Entwicklung noch 150 Jahre zurück.“ Aber ein Mitarbeiter der regierenden Nationalpartei (NP) glaubt zu wissen, daß viele CP- Leute in der Öffentlichkeit behaupten, gegen die Reformen zu stimmen, tatsächlich aber ihr Kreuzchen beim „Ja“ machen. „Vor allem die Frauen“, sagt er. „Die wollen ihren Männern nicht öffentlich widersprechen. Aber die machen sich Sorgen um die Zukunft. Sie wissen, was eine CP-Regierung für das Land bedeuten würde.“
Schwarze beobachten die Abstimmung interessiert, aber frustriert. „Obwohl wir nicht abstimmen können, betrifft diese Abstimmung uns alle“, sagt Maxwell Gwabane. „Ich bin richtig wütend, daß ich nicht abstimmen darf. Aber wenn das ,Nein‘ gewinnen sollte, würde ich noch wütender sein.“
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