Nachgefragt: Bremse im Kopf

Wer auf Autobahnen schneller als Richtgeschwindigkeit 130 km/h fährt und dabei unverschuldet in einen Unfall verwickelt wird, kann auf Schadenersatz verklagt werden — das hat der Bundesgerichtshof jetzt festgestellt.

Im Gegensatz zum Bremer Werk hat die Mercedes-Zentrale in Stuttgart dazu eine Meinung.

taz: Was hält ein Autohersteller von diesem Richterspruch?

Detlef May, Mercedes-Sprecher: Unsere generelle Linie wird damit zunächst nicht angekratzt. Es geht nicht darum, irgendein Tempolimit zu haben, sondern darum, angepaßt an den Fahrzeugzustand — äh, an die Verkehrssituation zu fahren. Möglicherweise hätte man in der Situation, um die es bei dem Urteil geht, noch nicht mal 130 km/h fahren sollen. Ein starres Hingucken auf irgendwelche Höchst- oder Richtgeschwindigkeiten, das kann's nicht sein. Entscheidend muß sein, daß ein Autofahrer mit seinem Fahrzeug vernünftig umgeht. Und das gilt nicht nur für Mercedes-Fahrer.

Mercedes verspricht seinen Kunden aber einen sehr hohen Sicherheitsstandard — und das verführt zu schnellerem und vermeintlich sicherem Fahren...

Das größere Sicherheitssystem bringt natürlich was — je niedriger die Geschwindigkeit ist, um so mehr. Aber es geht darum, daß ein Auto dann, wenn es besonders schnell fahren kann, wenigstens auch besonders schnell wieder abzubremsen ist.

Aus Vernunftgründen ist in fast alle Fahrzeuge, eine automatische Bremse eingebaut, die sie nicht schneller als 250 km/h fahren läßt — auch wenn das von der Leistung her ginge. Wäre es nicht eine vernünftige Überlegung, diese Sperre bei 130 km/h einzusetzen — schon um Ihre Kunden vor Schadenersatzansprüchen zu schützen?

Die Bremse, die wir brauchen, die muß eigentlich im Kopf langsam mal entstehen. Wir hoffen zunehmend, daß sie dort vielleicht schon verankert ist.

Die tägliche Situation auf den Autobahnen beweist das Gegenteil...

Es gibt leider immer noch Leute, die sagen: Wieso, ich darf doch 130 km/h fahren und brettern los. Aber die Geschwindigkeitsbeschränkung bei Nebel zum Beispiel — die funktioniert ja auch nicht!

Ein Argument mehr dafür, daß Autofahrer nicht vernünftig denken können — und die Bremse einzubauen.

Aber die kann doch nicht bei 130 km/h liegen!

Warum nicht? Das Bundesverfassungsgericht sagt: Alles über 130 km/h liegt in einer Gefahrenzone.

Diese Geschwindigkeit ist aber, aus irgendeiner beliebigen Situation herausgegriffen, vielleicht völlig daneben...

Wären Sie denn mit einer Differenzierung der Geschwindigkeitsbegrenzung einverstanden?

Überhaupt nicht.

Bringt das Urteil ein Tempolimit durch die Hintertür?

Nein. Wir sehen den Aspekt darin, daß man, wenn man weit schneller als die Richtgeschwindigkeit fährt, zur Kasse gebeten werden kann. Und das halten wir für richtig. Fragen: Susanne Kaiser