: Affen, Flüsse, schöne Frauen
■ Die Peking-Oper gab ein Gastspiel in der Hochschule der Künste
Vor 1.400 Jahren verliebte sich der chinesische Kaiser Xuanzong unsterblich in die wunderschöne Konkubine Yang und ernannte sie zu seiner kaiserlichen Favoritin, einer Guifei. Yang hatte eine Vorliebe für Musik und Drama, war jedoch enttäuscht von dem Angebot der Musiker und Schauspieler am Hofe der kaiserlichen Stadt Changan, dem heutigen Xi'an. Tagelang wandelte der verliebte Herrscher in seinem Birnengarten umher und grübelte darüber nach, wie er seine Guifei zufrieden stellen könne — und gründete die erste Schauspielschule in der Geschichte Chinas.
Die Schauspielkunst entwickelte sich in den einzelnen Regionen Chinas sehr unterschiedlich. Bis 1790 Kaiser Gaozong in Peking seinen 80. Geburtstag feierte und Schauspielgruppen aus dem ganzen Reich einlud. Das Theatertreffen war ein Riesenerfolg, die Künste aus den verschiedenen Regionen verschmolzen zu einem gigantischen Spektakel aus Gesang, Tanz, Mimik, Akrobatik und Kampfsport — die Peking-Oper war geboren.
Nur die Besten der Besten dürfen mitspielen. Die umfassende Ausbildung zum Tänzer, Sänger, Schauspieler und Akrobaten ist auch heute noch eisenhart. Bereits als Siebenjährige üben die Jungen und Mädchen die grundlegenden Folgen von stilisierten Bewegungen. Bis zu drei Jahre dauert die Grundausbildung der Ensemblemitglieder. Bis die »Baiti«, die hundert Fertigkeiten der darstellenden Künste, erlernt sind, vergehen sogar zehn Jahre harter Arbeit.
Die Bühne in der Hochschule der Künste ist — bis auf einen seidenen Wandbehang — leer. Nicht die äußere Erscheinung des Lebens soll vermittelt werden. Die präzise, graziöse Art, wie ein Darsteller eine nicht vorhandene Tür öffnet oder schließt, die Treppe hinaufgeht oder herabsteigt, einen Raum betritt oder verläßt oder einen Fluß durchwatet, ist Ausdruck eines vollendeten Gefühls für Rhythmus. Drei- und viersaitige Lauten, chinesische Geigen, Flöten, Klarinetten, Klappern, Trommeln, Zimbeln und Gongs begleiten die Bewegungsabläufe, ersetzen Requisiten und Bühneneffekte; der Einbruch der Nacht wird mit einem Trommelschlag angekündigt.
Jede der Bewegungen wird mit einer Ruhestellung abgeschlossen, die den Ausdruck des Bildes unterstreicht. Das gilt auch für die »wuxi«, die Bilder mit kriegerischem Inhalt. Auf der Bühne agieren die Schauspieler mit Messern, Schwertern, Lanzen, Stöcken, Äxten, Gabeln, Klauen, Haken und Hellebarden.
Wesentliche Charakterzüge der Darsteller sind über ihre Gesichtsbemalung und den »Augengeist«, das Augenspiel, erkennbar, sie vermitteln den dramatischen Sinn der Handlung. Die Schminkmasken sind zum Teil populären Motiven der Symbolik in der Kalligraphie, Malerei und Schnitzerei entliehen, andererseits über Spitznamen chinesischer Helden oder Schurken identifizierbar. Das grün geschminkte Gesicht symbolisiert den Charakter des berühmten Gelehrten Xu Shiying, der im Volksmund »Grüngesichtiger Tiger« hieß. Rote Farbe kennzeichnet den loyalen, mutigen Mann, der leicht erregbar ist, Weiß einen verräterischen Typen.
Das Ensemble der »Pekingoper Shanghai« zeigt in der Hochschule der Künste vier Bilder aus verschiedenen Opern. Besonders eindrucksvoll das Stück Im Wirtshaus an der Weggabelung. Die Geschichte: General Jiao Zan will in einem Wirtshaus übernachten. Ein junger Offizier, Ren Tanghui, soll ihn bewachen, ohne sich erkennen zu geben. Der Gastwirt vermutet in Tanghui einen Attentäter — und will den jungen Offizier umbringen, um den General, der ihm äußerst ehrenhaft erscheint, zu schützen. In der dunklen Nacht schleicht er in Tanghuis Kammer — eine der berühmtesten Kampfszenen der Peking-Oper beginnt.
Auf der voll erleuchteten Bühne zeigen die Kämpfer nur durch ihre Bewegungen, daß sie im Finsteren kämpfen. Alle Qualitäten der Peking-Oper werden in dieser Szene deutlich: der Witz, wenn sich Tanghui und der Gastwirt umschleichen, sich so nahe sind und doch nicht sehen — die atemberaubenden artistischen Figuren des Kampfes — die Mimik des tumben Wirtes und des schneidigen Offiziers. Nach einem rasanten Gefecht betritt General Zan die Kammer und beendet den Kampf.
Neben Tang Junlang von der »Pekingoper Shanghai«, der die männliche Hauptrolle in den Kampfszenen spielte, wird besonders Lin Shufang für ihren schwindelerregenden Stocktanz in der Hochschule der Künste mit Beifall überschüttet — das Publikum ist von der ausverkauften Vorstellung am Montag abend zu Recht begeistert.
Während die Berliner offensichtlich das artistische Spektakel an der Peking-Oper bevorzugen, ist in China die Rolle des Clowns äußerst populär, die Rolle, die schon Xuanzong, der »Erfinder« der chinesischen Schauspielschulen, in seinem Birnengarten übernahm. Daß er mit seinem heiteren Gemüt die schöne Yang erobert, sollte all jenen zu denken geben, die sich lieber mit Bruce Lee oder Chuck Norris identifizieren. Die Helden der Peking-Oper sind keine finsteren Kampfmaschinen, sondern witzig, klug und weise — aber jederzeit zum Kampf bereit. Werner
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