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Dramaturgenhirnverschrobenheit

■ »Der Raub der Sabinerinnen« als erste von zwei Abschiedspremieren der Freien Volksbühne

Jeder kennt diesen Titel; das vor knapp hundert Jahren von den Schriftstellerbrüdern Franz und Paul von Schönthan geschriebene Stück ist die Klamotte der deutschsprachigen Bühnenliteratur. »Gestern besuchte mich eine vornehme Dame aus Rumänien, die in Dresden lebt und — dichtet«, beginnt Franz von Schönthan einen Brief an seinen Bruder, nachzulesen im hübschen Programmheft der Freien Volksbühne. Die unbelehrbar dichtende und nach dramatischem Ruhm strebende Dame wurde zum Vorbild für einen der beiden Protagonisten der Sabinerinnen, den Gymnasialprofessor Martin Gollwitz. Von Kleinstädter-Eitelkeit verführt, entschließt er sich, seine im Jugendalter zusammengeschwärmte Römertragödie — eben den Raub der Sabinerinnen — zur Aufführung freizugeben, im Schützenhaus, gleich um die Ecke. Da die diktatorische Gattin mit der jüngeren Tochter Paula zur Kur verreist ist, traut sich Gollwitz dann doch — geschützt durch ein Pseudonym beziehungsweise nach Auskunft seines Schwiegersohnes, des dümmlichen Arztes Dr. Neumeister, ein »Pseudoskop« (einer der wenigen schönen Witze, die von dieser Inszenierung dazugedichtet wurden). Gollwitz' Gegenspieler, der hemmungslose Wandertheater-Direktor Striese, ist zum festen Begriff für Schmierentheater-Intendanten geworden, denen alles recht ist, wenn nur »der Lappen hochgeht« und »die Bude voll ist«. So gesehen hätte wohl Ulrich Kuhlmann den Gymnasialprofessor spielen sollen und Hermann Treusch, der Übergangs-Striese der Freien Volksbühne, den Schmieranten. In Frank Hoffmanns überambitionierter und verkrampfter Inszenierung ist es umgekehrt.

Die vorletzte Premiere der demnächst abzuwickelnden Freien Volksbühne krankt hauptsächlich daran, daß Regisseur Hoffmann den berühmten Schwank — der durchaus mit dem Gift der Farce infiziert ist — nicht wirklich liebt. Man glaubte, mit diesem Stück »die Bude voll« zu kriegen. Zur Premiere war ein Drittel der Plätze leer. Es wird auch nicht besser werden. Das Publikum weiß genauer als Jungregisseur Hoffmann, was von einem Schwank dieser Güteklasse zu erwarten ist: Tempo; Gags nur dann, wenn sie die schlichte Story nicht überladen; unbedingt naive Identifikationsschauspielerei; kurz: Respekt vor der hohen Kunst der trivialen Dramaturgie. In der FVB zeigt der längste Monolog von Theaterfex Striese exemplarisch, warum diese Sabinerinnen in die Hose gegangen sind. Strieses Sätze, in denen er die sogenannte Schmiere leidenschaftlich und anrührend gegen den dummen Arzt Neumeister verteidigt, sind hier brutal gekürzt; einige der schönsten Bekenntnisse zur Zauberkunst Theater fallen der Dramaturgenhirnverschrobenheit zum Opfer. Neumeister verläßt, völlig sinnlos, während Strieses Monolog die Szene, so daß Striese den kargen Rest einem Kakadu im Käfig erzählt. Oder: Wenn Striese atemlos ins Gollwitzsche Haus stürzt, dem Professor von der offenbar scheiternden Premiere seiner »Römertragödie« berichtet, muß Ulrich Kuhlmann im Dauerlauf um Sofa und Gollwitz rennen. Schwachsinn. Anti-Theater. Hirnwichserei.

Dann gibt es wieder schöne und ungewöhnliche Einfälle. Wenn Striese zu Beginn das Stück von Gollwitz erstmals liest, sagt er irgendwann: »Ich stürz' mich mal in den zweiten Akt« — und tut's, waagerecht ins Off hechtend. Mit solchen geradezu valentinschen Rückübertragungen aus dem Bildlichen ins Reale wird viel gearbeitet; oft sind sie amüsant und überraschend. Oder: Gollwitz malt sich aus, wie er — als Autor dann doch enttarnt und erfolgshalber »herausgerufen« — zum Applaus geht: »Wenn ich dann auf die Bühne muß... — ich darf an nichts Helles denken!« Schön.

Die Inszenierung hätte mehr Strieselei und weniger Castorfeln gebraucht. Man mißtraut dem simplen, handwerklich genialen Stück. Zwischendurch werden Schlager geträllert — man merkt die Absicht und ist gelangweilt. Kurze Textpassagen werden — hochpeinlich — gesungen. Striese und der unbegabte Jungschauspieler Sterneck (ganz ulkig: Stefan Wieland) müssen einen ganzen Auftritt am Fensterrahmen hängend absolvieren. Doof.

Das Bühnenbild, unschön und langweilig von einem Christopf Rasche gebastelt, will das Stück offenbar ins Zeitlose entrücken und zeigt doch nur, daß heutige Bühnenbildner keine Lust (oder kein Talent) haben, wirkliche Spielanlässe, Spielprovokationen zu entwerfen. Dabei sind Swetlana Zwetkowas Kostüme ganz wunderbar: In allen Farben des Entsetzens, kariert, giftgrün, kackbraun — schön schaurig. Auch die Masken, um die sich fünf (!) Damen kümmern, die ganz hinten im Programmheft auftauchen (und deren Namen ich nur aus Platzgründen nicht nenne) sind ganz fabelhaft: Hermann Treusch zum Beispiel trägt als Gollwitz einen Plastik-Eierkopf, Andreas Patton (Dr. Neumeister) hat mit angeschmiertem Haar und Stiesel-Brille zu begeisternder Gesichtsviereckigkeit gefunden, Anette Daugardt (die jüngere Tochter Paula) erinnert verblüffend und ulkig an Ingrid Steeger in Klimbim.

Mit den Nebenfiguren, die in diesem Stück pures Trivialfutter zu liefern haben, konnte die Regie offenkundig mehr anfangen: Andreas Patton als Neumeister, für mich der heimliche Star dieser Produktion, beherrscht das ganze Arsenal der Klamottenkomik so perfekt, naiv und ernsthaft, daß ich immer ungeduldig auf seinen nächsten Auftritt wartete. (Seine Spezialität: der unmenschlich dämlich leere Blick ins Publikum!) Sophie Rois spielt ein hysterisch dröhnendes und herumhühnerndes Dienstmädchen, dazu noch von offenbar irregeleiteter, untergründig wühlender Wollust gepeitscht. Achim Grubel legt zwischen zwei blassen Auftritten (die womöglich dem Premierenfieber zuzuschreiben sind) eine derart himmlische Knallchargen-Zappelnummer hin, daß sein prächtig unwürdiges Agieren allein den Besuch der Aufführung lohnt. Auch Hermann Treuschs Professor Gollwitz, mit hochsitzender, fett ausgepolsterter Hose, hat seine netten Momente.

Nur: Striese ist nicht Striese. Der oft so virtuose Ulrich Kuhlmann zeigte eher eine flüchtige Skizze als die runde Schwankfigur. (Daß er kein anständiges Sächsisch kann, für Striese normalerweise Pflicht, fällt so besonders auf.) Er schwankt bedenklich zwischen oft geradezu klassichem Chargieren und merkwürdig schroffen Momenten; er findet, scheint mir, den Kern der Figur nicht. Nach der Premiere stand ich dabei, als Kuhlmann eine längliche Anekdote über einen nicht weit von Berlin regierenden, stark alkoholisch imprägnierten Intendanten zum besten gab. Den Intendanten, einen weiteren Anwesenden, sich selbst als Zeugen: alle spielte Kuhlmann mit der ihm eigenen Eleganz kurz und witzig an, mit wenigen kräftigen Strichen sozusagen. Da war er urplötzlich viel mehr Striese als in dieser oberschlauen, verklemmten, immer nur momentweise rasanten und lustigen Inszenierung. Klaus Nothnagel

Weitere Vorstellungen: heute, 25. und 26. 3. um 19.30 Uhr in der Freien Volksbühne.

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