Im Dutzend billiger

■ »Kunst Kaufen« — eine Ausstellung zum Thema Kunst als Ware in der Invalidenstraße 31

Einen Supermarkt den Kunstwerken! Hinten links am Tresen für Alte Meister gibt's Mona Lisa im Fünferpack, an der Skulpturenbar ist heute Rodin im Angebot, und am Grabbeltisch heißt's zugegriffen: eine limitierte Auflage Vostell und Kiefer in der originalgetreuen Miniaturausgabe zum sensationellen Dumpingpreis von nur 19,99. Voll im Trend liegen derzeit die rehabilitierten Entarteten. Für einen Becker-Modersohn legt man dann schon mal ohne großes Maulen einen Fuffi auf den Thresen — Eine schöne neue Welt nach der Kulturrevolution, in der Kunst ein für jederman erschwinglicher Massenartikel geworden ist...

Heutzutage dagegen orientiert sich der »Marktwert« eines Kunstwerks einigermaßen willkürlich an Modetrends, bedient Eitelkeit und Imponierbedürfnis des potentiellen Besitzers und schwebt daher in einer für Otto-Normalverbraucher völlig abgehobenen Preisklasse. Laut Stephan Jung, Künstler und rastloser Freizeitphilosoph, hat der Marktpreis mit dem »absolutem Wert« eines Werks im allgemeinen herzlich wenig gemeinsam. Letzteres ist eine eher spontane, intuitive Vorliebe des einzelnen für bestimmte Kreationen, also eine sehr subjektive Qualität, für die der Begriff »absolut« dann auch wieder recht fragwürdig ist. Vorschlag des Ausstellertrios zum Thema: die Kunst gehört vom elitären Thron — sprich den Wohnzimmern gutsituierter Privatpersonen — verjagt und dem gemeinen Volk zugänglich gemacht.

Denkbar wäre, Kunst gänzlich aus der Liste der Konsumgüter zu tilgen und fortan ausschließlich in Staatlichen Museen zu zeigen. Da diesem Vorhaben der Geruch postsozialistischer Realsatire nachschleicht, entschied sich das Team für die kapitalismuskompatible Variante: Kunst als beliebig reproduzierbares Serienprodukt zu erschwinglichen Preisen anzubieten.

Meine Erwartungen nach vollautomatisch aufspringenden Glastüren und endlosen Regallandschaften, in denen sich »Künstliches« stapelt, sollen enttäuscht werden.

Die Ladengalerie in der Invalidenstraße 31, eine ehemalige Schlachterei, ist von jener seltenen Schönheit, wie sie nur im Nahen Osten unserer jüngst wiedervermählten Stadt zu finden ist. Kaum zu glauben, daß diese Oase demnächst der Abrißbirne zum Opfer fallen soll. Mit viel Gespür für die Raumästhetik sind die »Waren« galeriegemäß sparsam an den Wänden drapiert. Im ehemaligen Verkaufsraum, der von Kopf bis Fuß mit gemusterten Kacheln ausgelegt ist, baumeln anstelle der Würstchen comicartige Gipsfiguren von Jung an den Fleischerhaken, in Massenanfertigung versteht sich. Vertikal stapeln sich die Löwenköpfe, gegenüber nur knapp unter der reichverzierten Stuckdecke hängen weibliche Torsen in Reih und Glied. Letztere das Stück für nur schlappe 5 Märker käuflich zu erwerben.

Im Nebenraum nackter Putz mit variierenden Färbungen vormaliger Wandanstriche. Cowgirls in Mini und Bikini von farbenfrohem Warholstil, den Colt galant in der Hand wiegend, lachen im Reigen der identischen Schwestern schelmisch von der Wand herab. Ein aufgedruckter Text in Form einer Anzeige beschreibt, wes Geistes Kind die leichtgeschürzten Damen sind: »Mädchen für Alles — (—) Bin gewohnt, Tag und Nacht zu arbeiten. (—) verlange nur Kost und Logis.« Frauen als willfährige und preiswerte Konsumgüter, durch den ausdrücklichen Warencharakter dieser Ausstellung gleich in doppelter Hinsicht aber nichtsdestotrotz ein etwas abgenutztes Thema.

Im weiß gekachelten Schlachtraum zeigt Jung Siebdrucke auf rotem Plexiglas. Werbefotos aus den Fünfzigern, beredte Zeugnisse der kapitalistischen Naivität der Wirtschaftswunderjahre, sind mit dezent ironischen Worten und Sprüchen versehen. Da hält sich ein adrettes Paar in frischverliebter Umschlingung, dazu die Unterzeile: »der Mutter eine Hilfe, eine Freude den Kindern«.

Im Hinterzimmer läßt Marc Pluvinage mit kleinformatigen Siebdrucken auf Papier die Sau raus. Im reichverzierten Rokokorahmen, darinnen man das Gesicht eines lieben Verwandten vermuten täte, läßt das gute Tier die Zitzen hängen, die untere Hälfte füllen Noten mit italienischer Tempoangabe. »A quoi ce visage doit-il son charme?« ist der Bildtitel- auf deutsch ungleich profaner: »Wem verdankt dieses Gesicht seinen Charme?« Ist's gar die menschliche Zivilisation und Kultur, die die nonchalante Eleganz ins Antlitz der Portraitierten lockt und damit auslöscht? Vom rosa Glücksbringerl als domestizierter Wildsau, einen Meilenstein auf dem Weg zum aufrecht gehenden Abendländler bis hin zu den Highlights europäischer Kultur, der klassischen Komposition — das Individuum fehlt.

»Alles in Butter« meint Yvonne Harder in ihrer Vitrine, darinnen sich die bleiernen Letter des Wortes »Alles« in die buttergelben Quader senken. Mit ihrer Hundenummer im Toilettenvorraum landet sie den unangefochtenen Knüller der Ausstellung. Zwischen den engen Kachelwänden steht ein nach oben offener Glaskasten. Durchsichtige Spielzeughunde, denen die Künstlerin das Fell über die Ohren zog, winden sich mit embryonenhaft vergrößerten gelben Augen umeinander, im Leib der batteriegetriebene Motor wie ein offenes Gedärm.

Im aufgestellten Zustand vollführen diese lichtscheuen Gestalten groteske Saltos — das gläserne Gefängnis reduziert die roboterhaften Bewegungen zum hilflosen Geruder von Wesen, die ihre Seele dem Götzen Technik verkauft haben. Jedes Ansetzen für den verhinderten Salto löst einen schreckschußartigen Knall aus, der als unregelmäßiges Stakkato durch die Räume der Galerie hallt. Nacktes, ekles Gewürm wie ein plötzlich aufgedecktes Madennest beim Biß in einen alten Harzer Käse, vom dezenten Pissoirduft des Ambientes sanft umweht.

Wie eingangs besprochen, alle Exponate dieser Ausstellung sind käuflich zu erwerben, und zwar zu Preisen, die weit unter dem — wie hieß das doch gleich — Marktwert liegen, vom absoluten Wert natürlich ganz zu schweigen. Da die kulturelle Revolution aber noch nicht ausgefochten und wir im Bereich der bildenden Kunst noch im tiefsten vorindustriellen Manufakturstadium stecken, liegt eine etwa vierwöchige Bestellfrist zwischen Galeriebesuch und dem Augenblick, da man das Objekt der Begierde in die heimische Wohnstube befördern kann. Antje Braunschweig

Kunst kaufen in der Invalidenstraße 31, noch bis zum 29. März von Donnerstags bis Sonntags, jeweils 18 bis 20 Uhr, Berlin-Mitte