: IM OSTEN NICHTS NEUES? Zum Programm des 29. Berliner Theatertreffens
Das Programm des 29. Berliner Theatertreffens, das vom 15. bis 31.Mai vonstatten geht, steht — knallfest. Natürlich ist die Schaubühne wieder dabei, diesmal mit Luc Bondys Botho-Strauß-Inszenierung vom Schlußchor; als wolle die Jury die Entscheidung der Juroren vom Vorjahre wieder wettmachen, die Dieter Dorns gelackte Spielfassung aus München eingeladen hatte, wovon sich das Berliner Publikum wiederum gelackmeiert gefühlt und das Gastspiel kräftig ausgebuht hatte.
Bondy macht es sehr viel besser, nur, das allein ist eigentlich kein Grund, die Aufführung einzuladen. Da wollte man wohl den Ruf der Schaubühne als bestem deutschen Sprechtheater retten. Natürlich ist auch das Wiener Burgtheater eingeladen: Cesare Lievi, der im übrigen gerade an der Schaubühne in Berlin probt, hat dort das Trakl-Fragment Blaubart einstudiert. Man bleibt sich verbunden, auch über die Ferne, das ist schön. Vom Wiener Akademietheater kommen außerdem George Taboris Goldberg Variationen, die er selbst daselbst zur Uraufführung gebracht hat, sowie Andrea Breths Regiearbeit von Sean O'Caseys Das Ende vom Anfang; so läßt sich diplomatisch ausgleichen, daß man ihrem männlichen Kollegen von der Schaubühne den Vorrang gegeben hat. Andrea Breth ist dort seit dem vergangenen Herbst Oberspielleiterin.
Fast scheint es, als könne man die Gedanken der neun Jurymitglieder im einzelnen nachverfolgen. (Der Jury gehören die Theaterkritiker Peter von Becker, Peter Iden, Gerhard Jörder, Reinhard Kill, Wolfgang Kralicek, Dieter Kranz, Mechthild Lange, Erika Stephan und C. Bernd Sucher an.) Hier Schaubühne, da Burgtheater; hier Berlin, da Wien, je drei Mal. Aus Berlin stammt auch der einzige Ostregisseur, der die Ehre hat: Andreas Kriegenburg mit seiner äußerst umstrittenen Inszenierung von Büchners Woyzeck an der Volksbühne. Es ist seltsam, daß ansonsten keine andere ostdeutsche Bühne zum Theatertreffen eingeladen worden ist. Zwar stimmt es, daß sich viele Theater mit Linie1, Anatewka und anderen Musicalkomödien über Wasser halten, doch um so wichtiger wäre es, die wenigen couragierten Bühnen, die sich an Uraufführungen und komplizierte Stoffe wagen, zu unterstützen. Und das müßte kein Goodwill- Akt sein, wie die beiden Premierenspektakel der Freien Kammerspiele Magdeburg bewiesen haben, bei denen Christian Martins Amok und Lothar Trolles Ein Vormittag in der Freiheit zur Uraufführung kamen; beides gute Inszenierungen aktueller Stücke. Die „Kammer“ in Magdeburg wird vielleicht gerade soetwas wie ein Geheimtip; doch bis sich der bei den Juroren herumgesprochen hat, hat er sich zum Allgemeinplatz gemausert: wenn es alle längst wissen, kommt die „Entdeckung“ für's Theatertreffen. Zu spät. Daher rührt es mich eher peinlich an, daß in diesem Jahr Andrej Worons Kreaturentheater aus Berlin — als einzige „freie“ Produktion übrigens — dabei sein darf; nachdem es im letzten Jahr bereits in der Diskussion war. Aber damals waren die vielen Artikel — vom 'Spiegel‘ bis zu 'Theater heute‘ — noch nicht erschienen.
Aber auch im Westen gibt es immer wieder kleinere Bühnen, die eine Entdeckung wert wären und die jüngeren Regisseuren eine Chance geben, ehe sie sich womöglich in großen Häusern verheizen lassen. Mainz etwa, wo Anna Badora seit dieser Spielzeit tätig ist. Aber das ist ja die Krux, denn auf die Reise in die Provinz begeben sich die Juroren, die aus der ganzen großen Republik zusammenkommen, selten. Sie reisen allerdings selbstredend nach München, um dort an den Kammerspielen die Schwab- Uraufführung Volksvernichtung (Regie: Christian Stückl) oder Barlachs Blauen Boll in der Inszenierung des inzwischen verstorbenen Hans Lietzau zu sehen (beide Stücke sind hiermit eingeladen).
Wahrscheinlich werden sich die Jurymitglieder gegenseitig auf die Schulter klopfen und sagen: In den letzten Jahren war es doch viel schlimmer. Da wurde noch vor Peymann gezittert. Schlimm genug. Natürlich macht es Sinn, Hans Lietzaus letzte Regiearbeit aus München in Berlin zu zeigen, wo der im November 1991 verstorbene Regisseur ja lange gearbeitet hat. Johann Kresniks Tanztheater über die mexikanische Malerin Frida Kahlo (bislang wirkte der Meister der politischen Choreographie in Bremen, ab 1993 eventuell an der Ostberliner Volksbühne, wo er ein Projekt über Rosa Luxemburg realisieren will) verspricht ebenfalls Neues beim Theatertreffen. Nicht alle mögen seine plakativen politischen Themen, seinen Stil; auch mit der Entscheidung für Dimiter Gotscheffs Kölner Inszenierung der Strindberg-Julie und Matthias Hartmanns vielgelobter Version von Lessings Emilia Galotti (Hannover) kann sich die Jury blicken lassen. Ein paar neue Gesichter oder Meinungen in den vertrauten Runden tun gut, schließlich ist das Theatertreffen auch Diskussionsforum und Talkshow.
Zuguterletzt seien erwähnt: Jürgen Gosch mit Becketts Endspiel vom Schauspielhaus Bochum und Ruth Berghaus mit einer Gastarbeit am Hamburger Thalia-Theater, wo sie Brechts Im Dickicht der Städte inszeniert hat. Berghaus wird seit der Wende sehr angefeindet — vielleicht giftet sie ja zurück. Ist doch spannender, als wenn sich alle so furchtbar verbunden sind.
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