: In der Opposition fühlen sich die Grünen wohl
In Nordrhein-Westfalen steht bei den Grünen die radikale linke Pose noch immer hoch im Kurs/ Realos zwischen Resignation und neuen Mutproben/ Widersprüchliche und realitätsferne Beschlüsse vertreiben viele der besten Köpfe ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs
Roland Appel, Landtagsabgeordneter und einer der Wortführer der linken Grünen in Nordrhein-Westfalen, will von Krise nichts wissen. Im Gegenteil, Appel spricht von einem „ansteigenden Interesse“ besonders an der linken Variante grüner Politik, dem linken Forum. Weil hier Politik nach wie vor im Sinne der ursprünglichen „grünen Identität“ betrieben werde, leide das linke Forum jedenfalls weniger an dem andernorts beklagten Rückzug aus der Politik, an dem Schwund an Gesinnungsgenossen. Das beweise schon die wachsende Nachfrage nach dem Rundbrief des Forums in NRW.
Der für seine wechselnde Haarfarbe und hautengen Hosen im Düsseldorfer Landtag mitunter gescholtene Ex-Jungdemokrat hat auch in seinem Heimatkreisverband Bonn von einem nachlassenden Engagement nichts bemerkt. Es habe einen gewissen Mitgliederaustausch gegeben — von absolutem Schwund aber keine Spur. Großen Zulauf registriert Appel, in der Fraktion für Innen- und Flüchtlingspolitik zuständig, auch bei seinen eigenen Veranstaltungen.
Glücklicher Appel! Selbst in dem von ihm angesprochen Rundbrief liest man anderes. „Die Luft ist raus“, so beschreiben dort Kerstin Müller und Klaus Dräger, beide zum linken Forum gehörend, den Zustand ihrer Partei. Die Grünen in NRW seien eine Partei „mit einem ausgezehrten und ausgebluteten Parteiapparat, der mit Sicherheit nicht mehr genug Kraft und Kreativität hat für die nächste Bundestagswahl. (...) Wer will, daß die Partei so bleibt, wie sie ist, der will nicht, daß sie bleibt.“ Müller und Dräger schreiben von der „sehr dünnen personellen Decke“ und empfehlen als Therapie die „systematische Öffnung der Grünen nach innen und nach außen, den grün-offenen Dialog“.
Das klingt fast wie bei Wolfgang Templin, dem Sprecher vom Bündnis 90, der keine Gelegenheit ausläßt, um den Grünen mehr „Vielfalt“ und „Öffnung“ — bis hin zu den bürgerlichen Ökologen von der „Ökologisch Demokratischen Partei“ (ÖDP) — zu empfehlen. Das linke Forum der nordrhein-westfälischen Grünen also auf Templin-Kurs?
Der Schein trügt. Für die Linken, so heißt es in einem für den morgen beginnenden Landesparteitag formulierten Antrag, sei der Templin- Vorschlag inakzeptabel. In dem auch von Müller und Dräger unterzeichneten Antrag, der die Rahmenbedingungen für die Verhandlungen zwischen den Grünen und dem Bündnis90 festzurrt, wird die ÖDP als eine „in der Grauzone zur Neuen Rechten“ operierende Partei denunziert. Und die von „einigen Wortführern des Bündnis 90 und der Grünen entfachte Debatte“ zur Notwendigkeit eines quer zu den Parteigrenzen angelegten dialogischen Politikstils paßt den Linken überhaupt nicht. Eine solche Debatte halten die linken UnterzeichnerInnen für „befremdlich“.
Dabei hätte der nordrhein-westfälische Landesverband, der so viele seiner besten Köpfe aus der Partei oder an den Rand der Partei getrieben hat — dazu gehören Otto Schily, Antje Vollmer, Norbert Kostedde oder Harry Kunz ebenso wie Christa Nickels, Gerd Billen oder Helmut Wiesenthal —, frischen Wind, Öffnung und Dialog so bitter nötig. „Der Landesverband bewegt sich in vielen Fragen so schrecklich langsam“, beklagt der Fraktionsgeschaftsführer der Düsseldorfer Landtagsfraktion, Michael Vesper, zu Recht.
Vesper, einer von vier Realos innerhalb der zwölfköpfigen Fraktion und der einzige mit medialer Durchschlagskraft, hat mit dem linken Opportunismus der NRW-Grünen täglich zu kämpfen. Noch immer laute das grüne Motto in vielen Bereichen: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß.“
Eine Politikvariante, der die grau- grüne linke Mehrheit seit Jahren in NRW frönt. Im Zweifelsfall zieht die Landespartei einer konsistent formulierten Polilik allemal das oppositionelle Gehabe vor. Das letzte Beispiel lieferte der Parteitag Ende vergangenen Jahres mit seinen Beschlüssen zur Ausländer- und Flüchtlingspolitik. Die Grünen in NRW, so heißt es in dem Beschluß, wenden sich „entschieden gegen Einwanderungsquoten, die nach bestimmten Kriterien Einwanderung selektieren. Denn Quoten und Kriterienbildung beinhalten gleichzeitig Abschottung und Verschärfung der Grenzkontrollen und werden letztlich nicht ohne Rückwirkung auf das Grundrecht auf Asyl bleiben. Sie stellen nicht viel mehr als den hilflosen Versuch dar, mit juristisch-bürokratischen Steuerungsinstrumenten das komplexe Problem existentieller Fluchtursachen lösen zu wollen.“
Den 5-Seiten-Beschluß zusammengefaßt, sieht die Flüchtlingspolitik der NRW-Grünen etwa so aus: Grenzen auf; uneingeschränkte Sozialhilfe und natürlich „ausreichender und erschwinglicher Wohnraum“ für alle, die da kommen wollen. Für solche Beschlüsse, die nur jemand fällen kann, der sicher ist, nie das Geforderte auch wirklich umsetzen zu müssen, sind die Grünen in NRW immer gut.
Ein Politikmuster, das sich immer wieder auch in der grünen Landtagsfraktion findet, die bei vielen Auseinandersetzungen, zum Beispiel bei der Kieselrotaffäre, hervorragende Arbeit geleistet hat. Argumentiert wird, wie es gerade opportun erscheint. So sprang die grüne Fraktion und deren wirtschaftpolitischer Sprecher, Manfred Busch, den Dortmunder Hoesch-Kollegen mit großen Worten immer wieder bei, die von der Landesregierung gefordert hatten, auf die Landesbank (West LB) Einfluß zu nehmen, um die Übernahme durch Krupp zu verhindern.
Das klang gut, hatte aber mit ehrlicher, konsistent formulierter Politik wenig zu tun, denn diese Einflußmöglichkeiten wollte Busch ein paar Monate zuvor, während der Haushaltsdebatte, noch gänzlich kappen. Von der Landesregierung verlangte Busch seinerzeit, die West LB zu „verkaufen“. Die Bank müsse „endlich dem Einflußbereich der Landesregierung entzogen werden“.
„An vielen Stellen“ sei die Partei, so drückt sich Michael Vesper noch moderat aus, schlicht „zum Verzweifeln“. Zum Glück der Grünen kriegen die WählerInnen von dem beschlossenen Irrsinn in der Regel nichts mit. Innerparteilich sind die Wirkungen dennoch fatal. Die Liste der politischen Köpfe, die sich angesichts solcher Beschlüsse verabschiedet und resigniert haben, ist lang.
Tatsächlich bleiben wegen des Schwundes an Mitgliedern und Aktivisten bei den Grünen immer häufiger Positionen unbesetzt. Allein im vergangenen Jahr sackte die Mitgliederzahl in NRW um 357 auf 8.677 ab. Wolfgang Schmitt, Sprecher der Landesgrünen, sieht die Grünen „auf dem Weg zur Generations- und Milieupartei“. Unbestritten ist: Die Grünen werden gemeinsam alt. Neue Gesichter, junge Leute finden immer seltener den Weg in grüne Versammlungen.
Ein Trost bleibt ihnen allerdings: Bei der Konkurrenz sieht es nicht besser aus. CDU und SPD leiden ebenfalls an Mitgliederschwund und Altersschwäche. 1980 machte der Juso-Anteil (bis 35 Jahre) an der Gesamtmitgliedschaft der NRW-SPD noch 30 Prozent aus. Im letzten Jahr waren von den 287.031 Sozis im Lande dagegen gerade noch 17,2 Prozent im Juso-Alter.
Wolfgang Schmitt gibt sich angesichts dieses allgemeinen Trends in der Mitgliedsentwicklung noch halbswegs zufrieden. Zwar habe die vom Landesverband im vergangenen Jahr erstmals systematisch betriebene Mitgliederwerbung insgesamt nur zu 100 Neueintritten geführt, doch innerparteilich habe die witzig angelegte Werbeaktion der Moral gutgetan und dazu beigetragen, daß „uns nicht zu viele von den Fahnen laufen“. Künftig will sich Realo Schmitt, der am Wochenende wieder für den Sprecherposten kandidiert, vor allem der Reaktivierung grüner Politik an den Universitäten widmen. Schmitt wörtlich: „An den Unis sind wir so gut wie überhaupt nicht mehr präsent.“
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