: TRAUE KEINEM, DER DERZEIT TRAUERT! VONS HANS-GEORG BEHR
Hey, Giordano! Toll, mal wieder was von Dir zu hören, und dann gleich im derzeitigen 'Spiegel‘! Weil ich ja auch nicht mehr der Jüngste bin: Also schon irre, wie Du da überbroderst, überbiermannst, trauerfähigst! Und am schärfsten: deine „biographische Legitimation“, Deine Selbstbezichtigung, von '46 bis '57 bei der KPD gewesen zu sein, als Stalinist, klaro. Und — das macht Deine späte Meldung in der neudeutschen Waschmaschine so heiß — nun kannst Du wenigstens das Dir ersparte Auschwitz mit dem Dir aus Parteigründen ersparten Wokurka bilanzieren. Das macht, im Unterschied zu Biermann und Broder, die Gnade der frühen Geburt. Diese Kids schreiben ja gelegentlich unabsichtlich ab. Unabsichtlich, denn „die ungeteilte Humanitas“ lag ja schon gelegentlich im Trend. Da schrieb z.B. der Himmler im 'Völkischen Beobachter‘ vom 14.Mai 1941: „Wir werden noch staunen, welche Agenten die jüdisch-bolschewistische Verschwörung in unserem Volke hat“, und der Broder im 'Spiegel‘ 51/91: „Wir werden uns noch wundern, wie viele inoffizielle Repräsentanten die untergegangene DDR vor allem in der BRD hat.“ (Immerhin: Grass, Zwerenz u.v.a.m. hat er geoutet.) Und wenn Biermann dem Heym ans Bein pinkelt (nun gut, manche können eben nicht höher), fällt mir auch Streicher ein, der im 'Stürmer‘ 2/31 ausgerechnet Thomas Mann anhand der Buddenbrooks als Bolschewist enttarnt.
Aber, lieber Ralph, warum nennst Du denn bei Deiner „trauerfähigen Linken“ nicht auch Koestler, Rudolf Leonhard, William Schlamm, Habe und Löwenthal? Doch nicht, weil sie diese einträgliche Fähigkeit schon zu einer Zeit entdeckt hatten, als Du noch bei der anderen Buchhandlung geführt wurdest? Ach sparen wir's uns, ich bin ungerecht. Manche brauchen eben länger, und Du hast nach Ungarn eben Dein Trauerjahr gebraucht, bis Du Dein illegales Parteibuch hinwarfst. Außerdem hast Du dieselben Marktprobleme wie alle geouteten und outen Linken: Wie drehe ich meine marktwirtschaftliche Wende hin, ohne als Wendehals mit morschen Knochen dazustehen? Da hiefür der 'Spiegel‘ schon jüngerem Schrott die passende Deponie war, sei Dir's gegönnt.
Kompliment übrigens, wie Du Deine Wut über die Nicht-Entnazifizierung in moralischen Treibstoff für die nun fällige Entlinkung umwandelst. Wie elegant Du übersiehst, daß nun die adoptierten Nazi-Kids über die adoptierten Lenins richten dürfen, und daß wir, wenn schon Vergangenheits-Aufarbeitung, auch chronologisch vorgehen könnten. Oder glaubst Du da an die Gnade der späten Geburt mit künftiger Markthoffnung? Da Du bei all dem so neckisch mit dem gelben Stern winkst: Erinnerst Du Dich noch der Kapos? Da wir Deutschen uns bei unseren Säuberungen nie die Hände dreckig machen wollten, brauchten wir sie für Drecksarbeit, und dann durften sie sich mit der Seife waschen, an deren Produktion sie mitgewirkt hatten. Auch nach dem Krieg haben uns Juden wie Koestler (usw. s.o.) freiwestlich weißgewaschen. Und jetzt mußt Du samt Broder und Biermann den guten Augiasstall säubern, von Heym und Engelmann beispielsweise. Für ein goldenes Nebbich am Ehren-Arierband?
Nein, nein, ganz freiwillig, ich weiß. „Man muß sich ja arrangieren“, sagte ein Kapo seinem Richter. Kein Vergleich, klaro: Du sprichst ja aus Überzeugung. Und die zahlt sich derzeit aus.
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