INTERVIEW: „Nicht in die GUS, aber einen Vertrag mit Rußland“
■ Georgiens neuer Mann, Eduard Schewardnadse, hat sich am Donnerstag den Fragen des Zeitungsnetzwerks WORLD MEDIA gestellt
WORLD MEDIA: Herrscht in Georgien immer noch Bürgerkrieg?
Schewardnadse: Noch ist er nicht zu Ende, und das betrifft nicht nur die Stadt Sugdidi [die unter Kontrolle von Gamsachurdias Truppen steht, d.Red.]. Die Lage ist auch in anderen Regionen explosiv. Die Bevölkerung ist extrem gespalten, das Klima ist äußerst gespannt. Wir haben einen Waffenstillstand mit Sugdidi geschlossen. Wenn der nicht respektiert wird, dann muß man die Intervention von Gamsachurdia persönlich abwarten. Aber ich glaube, er wird eingehalten werden, denn die Leute sind erschöpft.
Wenn Sugdidi das Abkommen nicht respektiert: Erwägen Sie dann, militärisch einzugreifen?
Ich bin unter allen Umständen gegen eine militärische Intervention. Aber ich bin nicht der einzige, der darüber entscheidet — die Nationalgarde wird auch ihre Interessen vertreten. Mehrere ihrer Leute sind in Sugdidi getötet worden. Die Nationalgarde ist auch keine reguläre Armee. Es könnte sein, daß gewisse Gardisten den Befehlen nicht folgen und zu den Waffen greifen. Gerade deshalb muß das Abkommen mit Sugdidi so schnell wie möglich in die Praxis umgesetzt werden.
Wo bleiben Ihre Verhandlungen mit Moskau über den Rückzug der sowjetischen Truppen aus Süd-Ossetien [der Region Georgiens, die sich Rußland anschließen will, d.Red.]?
Tenguiz Sigua [der interimistische Ministerpräsident, d.Red.] ist nach Moskau gereist, um darüber zu diskutieren. Ein Ergebnis gibt es noch nicht. Diese Truppen müssen Südossetien unbedingt verlassen. Aber für den Rückzug muß erst ein präziser Kalender aufgestellt werden. Wir wollen ja diese Offiziere und Soldaten nicht verjagen. Der Rückzug muß schmerzlos erfolgen.
Sie sind dagegen, daß Georgien der GUS beitritt. Warum?
Weil die öffentliche Meinung in Georgien das nicht will. Ein Beitritt würde hier einfach nicht positiv aufgenommen. Und deshalb will ich, daß ganz schnell ein bilateraler Vertrag mit Rußland unterzeichnet wird. Den halte ich für viel wichtiger, als der GUS beizutreten. Was die angeht, sollten wir keine überhastete Entscheidung treffen.
Kommen wir zu dem Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien. Inwieweit betrifft er Georgien?
Ganz Transkaukasien ist von einer Libanonisierung bedroht. Deshalb fordern wir ja vom Westen, daß er intensivere Kontakte mit allen Staaten der Region knüpft. Zum Beispiel dadurch, daß ein Gipfeltreffen zwischen den drei Staaten organisiert wird.
Sie haben westliche Hilfe für Georgien gefordert. Warum sollte der Westen einem Land helfen, das immer noch keine legitimierte Regierung besitzt?
Wenn der Westen sich auf unsere Seite stellt, wird es uns umso leichter, eine legitime Regierung auf die Beine zu stellen. Wenn Transkaukasien sich dagegen aufspaltet, wird der Westen später viel größere Summen investieren müssen. Denn der Konflikt kann sich noch weiter ausdehnen. Es ist doch leichter, ein Feuer auszulöschen, solange es noch klein ist.
Welche Wirtschaftsreformen werden Sie in Georgien durchführen? Wollen Sie zum Beispiel eine eigene Währung schaffen?
Ich habe ziemlich viele Probleme am Hals. Finanzen und Wirtschaft sind unglaublich zerstört. Im Moment würde es gar nichts bringen, eine eigene Währung zu haben. Heute geht es in erster Linie darum, eine Hungersnot abzuwenden. Ich weiß nicht, wie wir den nächsten Winter überstehen sollen. Wenn wir nicht zusätzliche Ressourcen auftreiben, wird er schrecklich werden. Wir haben nicht einmal ein Staatsbudget für 1992.
Wie wollen Sie eigentlich die Georgier überzeugen, daß Sie sich wirklich geändert haben, seit Sie Erster Sekretär der Kommunistischen Partei Georgiens waren?
Durch Taten. Ich bin heute ein wilder Verfechter der Marktwirtschaft. Ich habe zu denen gehört, die sich dafür geschlagen haben, daß in der Sowjetunion ein wirklicher politischer Pluralismus installiert wird. Ich war auch einer der Anführer der demokratischen Bewegung. Von diesen Prinzipien werde ich nicht abrücken. In meinem Alter ändert man sich nicht mehr. Ich werde mich nicht in einen Diktator verwandeln, das können Sie mir glauben (lacht).
Welche Bedeutung hat Ihre Rückkehr an die Macht in Georgien für Sie persönlich?
Ich bin an einem entscheidenden Punkt meines Lebens. Es geht eben nicht nur um Georgien. Denn wenn die Demokratie hier gewinnt, dann hat das eminente Bedeutung. Ich möchte, daß meine Freunde im Westen das begreifen. Georgien ist zwar ein kleines Land, aber es hat trotzdem auf der internationalen Bühne ein Wörtchen mitzureden.
Wie kam es, daß Sie in so kurzer Zeit für die Spitze des neuen Staatsrates nominiert wurden?
Weil die Situation in Georgien wirklich schwierig ist. Ein Teil der Öffentlichkeit hier — vielleicht sogar ein großer Teil — hat mir vertraut und glaubt, daß meine Nominierung einer der wenigen möglichen Auswege war.
Halten Sie Ihre Nominierung für demokratisch?
Nein, aber das war demokratischer, als den alten Militärrat weiter amtieren zu lassen. Ich habe angekündigt, daß die nächsten Wahlen spätestens im kommenden Herbst stattfinden müssen. Das hat der Staatsrat beschlossen. Nach den Wahlen sollte dann alles wieder zur Ordnung zurückkehren. Aber bis dahin braucht es eine politische Stabilisierung. Ich hoffe wirklich, daß uns die gelingt. Es stimmt, meine Rückkehr nach Georgien war eine hastige Entscheidung. Wenn ich nur an meine eigenen politischen Interessen denke, dann war es riskant. Ein Politiker, der unter derartigen Konditionen in sein Land zurückkehrt, riskiert, zu Asche zerstäubt zu werden. Andere an meiner Stelle hätten vielleicht abgewartet. Aber Georgien steht am Rand eines Bürgerkriegs, und ich kann mir nicht erlauben, nur meinen persönlichen Interessen zu folgen.
Seit wann haben Sie denn Ihre Rückkehr vorbereitet?
Sie ist überhaupt nicht geplant worden. Obwohl der frühere Präsident Gamsachurdia mich mit allen möglichen Schimpfwörtern belegt und aller möglicher Dinge angeklagt hat, habe ich mir nie erlaubt, darauf zu antworten. Ich habe immer gesagt, daß er vom Volk gewählt war, und das habe ich auch respektiert. Erst am 2. September letzten Jahres äußerte ich mich zum ersten Mal, als auf Demonstranten geschossen wurde und es Opfer gab. Manche, sowohl hier in Georgien als auch im Westen, sagen, das sei alles in Moskau vorbereitet worden. Dieser Verdacht macht aber überhaupt keinen Sinn.
Hat Gamsachurdia noch Chancen, nach Georgien zurückzukehren?
Es läuft gerade eine richterliche Untersuchung — auf Veranlassung von Regierung und Generalstaatsanwalt. Sie wird klären, ob Gamsachurdia seine Befugnisse überschritten hat. Dann werden sich internationale Experten über die Objektivität der Resultate äußern. Erst dann werden die Dinge klar sein. Ich bin nicht befugt, über seine Rückkehr oder Nichtrückkehr zu urteilen. Wenn das Resultat der Untersuchung zeigt, daß er unschuldig ist, dann wird ihn kein Mensch anrühren, und die Justiz wird ihn verteidigen. Interview: Natalie Nougayrede ('Libération‘)
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