KOMMENTARE: Rückkehr des Politischen
■ In Frankreich mauserte sich die Ökologiebewegung zum Königsmacher in der Provinz
Ausgerechnet Antoine Waechter, einem Politiker mit dem Charisma eines Müsliriegels, verdankt Frankreich die Rückkehr des Politischen. In dem Land, wo Wasser mit Vorliebe aus Polyvinylchlorid-Flaschen getrunken wird, wo technologische Großprojekte noch per Erlaß implantiert werden und Politik wie zur Zeit des Sonnenkönigs eine Sache von Dekreten ist, in diesem Land wird künftig über mittelfristige Folgeschäden, über Grenzwerte, Sickerungsgeschwindigkeiten und Fahrradwege diskutiert werden müssen. Und zwar nicht in Pariser Kabinetten, sondern in den Ratsstuben der Provinzstädte. Denn: Die Ökologiebewegung ist seit Sonntag Königsmacher in der République Française.
Nach den Regionalwahlen hat sich Frankreich aufgefächert, ist bis zur Kenntlichkeit unübersichtlich geworden. Die beiden großen Lager sind nicht mehr in der Lage, alleine zu regieren. Die Rechte hat weiter an Le Pen verloren, und Frankreichs „Linke“ (PS, Linksnotable und PCF) liegt mittlerweile unter dreißig Prozent — bis aufs Hemd ausgeplündert von den Umweltlisten „Les Verts“ und „Generation Ökologie“.
Die Sozialisten stehen am Nullpunkt. Man stelle sich vor: In der Ile de France, der Provence-Côte d'Azur und im Elsaß hat die Partei des Staatspräsidenten weniger Stimmen erhalten als die Neofaschisten der Front National. Und nicht wenige in der PS sind schon zufrieden, daß ein solches Ergebnis nicht in ganz Frankreich eingetreten ist.
Die Front National hat zwar weniger Prozente erhalten als bei den letzten Präsidentschaftswahlen 1988, aber etwa doppelt soviel wie bei den Regionalwahlen von 1986, und sie wird fortan auch doppelt so viele Regionalräte stellen. Damit ist Frankreich das einzige EG-Land, wo eine autoritär- xenophobe Bewegung sich dauerhaft in den Institutionen eingenistet hat, bereit, jederzeit „Verantwortung zu übernehmen“.
Die einzigen Sieger, die ihren Erfolg auch in Politik umsetzen können werden, sind so die beiden Umweltlisten. Sowohl „Les Verts“ wie die „Generation Ökologie“ von Umweltminister Brice Lalonde kamen auf rund sieben Prozent. Noch größer wäre der Erfolg gewesen, wenn beide Fraktionen gemeinsam angetreten wären. Aber „Les Verts“ hatten dankend abgelehnt. Waechter vertritt die reine Lehre, Lalonde den Standpunkt des Pragmatikers. Naturtrüb versus naturidentisch. Wobei es für die Grünen blamabel ist, sich von einer Partei einholen zu lassen, die erst vor achtzehn Monaten (mit dem Segen Mitterrands) gepflanzt worden ist. Da zahlte sich natürlich aus, daß Umweltminister Lalonde die Provinzen mit telegenen Spitzenkandidaten, mit Wahlkampfbüros und Intelligenzija beschicken konnte. Aber es zeigt auch, wie zerbrechlich eine grüne Partei ist, die außer dem Idealismus ihrer (spärlichen) Mitglieder nur auf die Malaise und die Enttäuschung der Wählerschaft setzen kann. Die Grünen wurden gewählt, weil die PS bankrott ist, die PCF ein Traditionsverein zum Andenken an bessere Zeiten. Die Grünen wurden nicht gewählt, weil die Wähler von der Kompetenz der Kandidaten oder von deren programmatischen Wunschzetteln überzeugt waren.
Das wird sich jetzt ändern. Die Regionalwahlen waren landauf, landab als „nationaler Test“ verkauft worden, als Modell der kommenden Parlamentswahlen im Maßstab 1:1. Kurioserweise ist genau das Gegenteil passiert. Gewonnen haben Listen, die gegen die Arroganz von Pariser Zentralen, von ENA-Politkommissaren und Mediokratie angetreten waren: Grüne diverser Schattierungen, Jäger und Angler — auch die Propaganda der Front National hatte sich des einfachen „Peuple“ angenommen.
Nun wird in den kommenden Tagen endlich von lokalen Angelegenheiten geredet werden. Von Autobahnen, TGV-Trassen, Neubaughettos. Denn die Bürgerlichen haben versprochen, in keinem Fall eine Allianz mit Le Pens Mannen einzugehen. Nun sind sie in den allermeisten der zwanzig von ihnen gehaltenen Regionen auf die Stimmen der Umweltschützer angewiesen, um reinen Gewissens die Präsidentensitze in den Regionalräten zu behalten.
Die Grünen Antoine Waechters sind vom Mitterrand-Sozialismus enttäuscht genug, als daß ein Zweckbündnis mit der Rechten ihnen sonderliche Kopfschmerzen bereiten würde. Sie haben in jeder Region Mindestforderungen aufgestellt, die sie durchsetzen wollen, egal mit wem. Damit ist die Zeit ihrer politischen Unschuld vorbei. Und damit wird das politische Leben in Frankreich wieder spannend.
Insofern Grund zur Freude. Fast überall. Nur Aquitaniens Turteltauben trauern. Sie werden den triumphalen Einzug einer Waidmanns-Liste „Jagd-Fischen-Natur-Tradition“ in den Regionalrat bitter bezahlen müssen. Alexander Smoltczyk, Paris
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