: Mit dem Koran gegen den Felgaufschwung
■ Gericht entscheidet: Muß islamische Schülerin vom Sport befreit werden?
Isolation statt IntegrationFoto: Archiv
Aise A. ist eine junge Bremerin mit türkischem Paß. Aise wurde vor 14 Jahren in eine strenggläubige moslemische Familie hineingeboren. Sie lebt ihr Leben eingeklemmt zwischen den Vorschriften der Eltern und den Erwartungen der deutschen Außenwelt. Aise saß gestern im Verhandlungssaal des Bremer Oberverwaltungsgerichts, in einen langen Wollmantel gehüllt, ein Tuch um den Kopf gebunden, geduckt, verschüchtert.
Aises Eltern haben in ihrem Namen gegen die Stadt geklagt. Aise sollte nicht gezwungen werden dürfen, am Sportunterricht teilzunehmen, meinten sie. Ihr Vater hatte im September 1990
den Antrag gestellt, seine Tochter möge aus religiösen Gründen vom gemischten Sportunterricht befreit werden. Das Keuschheitsgebot des Koran verbiete es, daß seine Tochter im Unterricht Körperteile ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler sehe, die nach strenger Auslegung der moslemischen Gesetze verdeckt seien müßten. Die Schulleitung hatte den Antrag abgelehnt. Der Sportunterricht sei unter integrativen Gesichtspunkten unverzichtbar. Man habe auf die religiösen Empfindungen seiner Tochter sehr wohl Rücksicht genommen.
Dem Vater war das zu wenig. Er klagte vor dem Verwaltungsgericht. Die Verfassungsprinzi
pien von Religionsfreiheit und Elternrecht seien verletzt, argumentierten seine Anwälte und das Verwaltungsgericht gab ihnen erstinstanzlich recht.Aise sollte so lange nicht am Sport teilnehmen müssen, so lange kein nach Geschlechtern getrennter Unterricht angeboten werden könne, war der Kompromiß, den das Gericht gefunden hatte.
Damit wollte sich nun die Schulbehörde gar nicht abfinden. Sie ging in die Berufung. Nur energisches Beharren auf der allgemeinen Schulpflicht könne das schwierige Gebilde Schule in einer multikulturellen Gesellschaft retten, hieß es in der Argumentation. So kam es zu der gestrigen Erörterung vor dem Oberverwaltungsgericht.
„Wenn man Schüler aus den unterschiedlichsten Gründen vom regulären Unterricht separiert, fördert man damit Ausgrenzung und Aggression in den Schulen“, bekräftigte der Regierungsdirektor Ulrich Kaschner noch einmal den Standpunkt der Schulbehörde. Horst Eckelmann, Anwalt der türkischen Kläger, sah das ganz anders: „Sie wollen die Schülerin in Ihrem Sinne indoktrinieren.“ Aise und ihre Familie habe Emanzipation nach westlichem Muster abgelehnt. „Und sie leidet nicht darunter, sie respektiert die Regeln der Religion“, meinte der Anwalt. Der Vorsitzende Richter Günter Pottschmidt widmete sich in ungewöhnlicher Deutlichkeit und Vehemenz den Argumenten der Behörde: „Es gibt islamischen Fundamentalismus, christlichen Fundamentalismus und es gbt Emanzipations-Fundamentalismus“, warf er den Schulvertretern vor. „Wenn Sie die landesübliche Einheitsgesellschaft vertreten, werden Sie der Realität der multikulturellen Gesellschaft nicht gerecht und treiben die Kinder in schwierige Situationen.“ Der Konflikt zwischen Religionsfreiheit und Emanzipation der Frau sei nicht mit einem Federstrich aufzulösen. Ein Kompromiß wäre wohl am besten, ließ er durchblicken: „Muß es denn der Sportunterricht koedukativ sein? Muß denn am derzeitigen Stand in einer organisatorischen Frage festgehalten werden?“
Nach dem massiven Auftritt des Richters kam vom Behördenvertreter nur noch matter Widerstand. Zufrieden lehten sich Vater A. und sein Anwalt zurück, auch wenn der Richter beteuerte, daß die Entscheidung offen sei. Noch zufriedener war nur ein Mann in der ersten Reihe, der bei allen kleineren Beratungen an der Seite von Vater A. gewesen war: Mehmet Kilic, Imam einer Hemelinger Moschee. Als der Richter verkündigte, man werde sich mit der Entscheidung beeilen, saß Alisa A. weiter stumm und regungslos, als habe sie mit all dem nichts zu tun.
Jochen Grabler
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