: Wann ist weniger mehr?
■ Man kann Bilder malen und man kann sie anschauen Der Maler Jon Groom zeigt neue Arbeiten — und keine Möbel
Wenn das Zigarettenrauchen zur Denkzeit wird, dann liegt es häufig am verwendeten Equipment. Wer Selbstgedrehte qualmt, weiß, was gemeint ist. Die Firma »Muskote 100« stellt Zigarettenpapier her und bietet auf der Innenseite der Packung Grübelanreize durch abgedruckte Schlauheiten. Einem englischen Sprichwort zufolge heißt es zum Beispiel: »Mit vermehrter Erfahrung verringern sich die Unmöglichkeiten«. Ob diese Weisheit auch wahr ist, läßt sich, und das ist kein rhetorischer Schlenker, an der Malerei von Jon Groom ablesen.
Die Bilder des in New York und München lebenden Künstlers sind mit Erfahrungen aufgeladen, die sich nur durch die Malerei vermitteln lassen. In der Ausstellung der Galerie Gebauer u. Günther ist zum Beispiel eine Arbeit mit dem Titel Release (Befreiung) zu sehen. Schwarze, weiße und auch Kupferfarbe, die als Streifen über den geteilten Hintergrund — wie eine Brücke — gelegt ist, strukturiert die Fläche. Groom hat mit zunehmender Mal-Erfahrung die Bildelemente reduziert und seine »unmögliche« Malerei entwickelt.
In den Gründerjahren der amerikanischen Abstraktion nahm die Öffentlichkeit an der schlichten »Farb- Malerei« Anstoß. Das streitbare Potential ist aber mittlerweile erloschen. Was als allgemeingültige Verbindlichkeit gedacht war, wird immer mehr zu einem subjektiven Weg: Authentisch ist die abstrakt- geometrische Malerei nur durch die unmittelbare Verknüpfung von Künstler und Werk.
Groom zeigt unter anderem Gemälde, die nach seinem Geburtsort in Wales Powys Painting genannt sind. Für den Besucher der Ausstellung bleiben die subjektiven Erfahrungen, die der Künstler in diese Bilder »hineingemalt« hat, zwar verschlossen — aber die Atmosphäre dieser Gegend ist spürbar: Bildstrukturen, die an walisische Hausfassaden erinnern und breite Horizontstreifen, die durch die Bilder ziehen, lassen an die dortige Landschaft denken. Von »Malen vor der Natur« kann nicht die Rede sein, aber Groom gelingt es, durch Farbe seine Seh-Erfahrungen optisch wahrnehmbar zu machen. Die Präsenz der Bilder entzieht sich den visuellen Eindrücken des Großstadtlebens: Von bunten Farben und einer abweisenden, neon-grellen Coolness fehlt jede Spur. Grooms Malerei ist expressiv — nicht weil seine Bilder durch einen vielschichtigen Malprozeß mit bunten Farben entstehen, sondern weil sie die Augen provozieren.
Wie erzeugt der Künstler diese Provokation? Die Bilder sind rational und auf den ersten Blick eindeutig in ihrem formalen Bildaufbau gestaltet. Das maltechnische Vorgehen basiert auf einem nüchternen Farbauftrag und einem aufgeloteten Gefüge von Farbe und Fläche. Die technische Herstellung der Bilder entspricht ihrer visuellen Physiognomie. Man kann Grooms Malerei als empirische Aneinanderreihung und Überlagerung von Farbflächen betrachten. Es gibt allerdings noch eine andere Sicht, die die Phänomene der Farbanordnung jenseits einer physikalischen Berechenbarkeit wahrnimmt. Folgt man letztgannter Anschauung, eröffnet sich eine durch die Bilder hervorgerufene energetische Wirkung, die in Korrespondenz mit dem Galerieraum entsteht.
»Ich weiß nicht, ob man alles sagen kann, was man sagen will«, äußert Grooms amerikanischer Kollege Brice Marden über die Grundfrage gegenwärtiger Malerei. »Gibt es etwas Höheres oder eine niemals ganz faßbare Vorstellung? Oder, was alles spielt mit, wenn man überzeugt ist, ein Bild zu malen oder ein Bild anzuschauen? Ich weiß nicht, aber mir ist der Gedanke verhaßt, daß diese Tätigkeit zu etwas Zynischem wird. Wenn man nicht mehr daran glaubt, daß man etwas machen kann, dann macht man Möbel.« Nichts gegen Einrichtungsgegenstände. Aber wie lassen sich mit Malerei Erfahrungen ausdrücken, die von der Möglichkeit der Malerei sprechen und nicht von der pflegeleichten Schönheit eines Raumdekors?
John Groom gibt eine der möglichen Antworten: Die authentische Wirkung seiner Bilder entsteht erst durch die präzise Reduktion der Malerei. Nur die »Verringerung der Möglichkeiten«, um den Gedanken des Zigaretten-Spruchs malereiplausibel umzukehren, »vermehrt die Erfahrung« des Bilder-Sehens. Herbert Jochmann
Galerie Gebauer u. Günther, Pfuelstraße 5, Kreuzberg 36, mi.-sa. 13-19 Uhr. Bis 11. April
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen