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Vom Pfad zum Verkehrsknotenpunkt

■ Vor achtzig Jahren stand auf dem Breitenbachplatz noch kein einziges Haus/ Die drei Domänen Steglitz, Dahlem und Wilmersdorf stritten sich jahrelang über die Gestaltung des Rastatter Platzes

Wer heute seine Schritte über das weite Oval des Breitenbachplatzes lenkt, kann sich sicher kaum vorstellen, daß hier vor achtzig Jahren nur ein einziges Haus gestanden hat. Die heutige Schildhornstraße war noch in den zwanziger Jahren nicht mehr als ein unbefestigter verträumter Pfad, umsäumt von knorkigen Weiden.

Während im gigantischen Berlin der Weimarer Republik das Leben um den Kurfürstendamm buchstäblich explodierte, traf sich am heutigen Verkehrsknoten um den Breitenbachplatz höchstens mal ein Liebespaar oder verirrte sich ein einsamer Osterspaziergänger. Das erzählen heute jedoch nur noch die Großväter, die alten Weiden sind schon lange abgeholzt, und auch sonst gibt es nicht mehr viel, was an die alte Idylle erinnert.

Seinen neuen Namen verdankt der damalige Rastatterplatz, dem früheren Eisenbahnpräsidenten und Minister für öffentliche Arbeit, Paul von Breitenbach. Breitenbach setzte durch, daß die Wilhelminische Städtische Untergrundbahn in Jahre 1913 vom Wittenbergplatz aus auch im Süden Berlins verkehrte und machte damit den ersten Schritt zur Urbanisierung des damals noch sehr schwach besiedelten Berliner Südens. Damit stand der Bebauung des Platzes nichts mehr im Wege, aber es kam erst viele Jahre später dazu.

Drei Domänen streiten sich

Der Grund: Der damalige Rastatter Platz befand sich unglücklicher Weise genau an der Stelle, wo sich die Grenzen von drei verschiedenen Gemeinden trafen, nämlich von Steglitz, Dahlem und Wilmersdorf.

Schon in den ersten Apriltagen des Jahres 1907 war es zwischen den Vertretern der einzelnen Gemeinden zu sondierenden Gesprächen gekommen. Man wollte die Fluchtlinien für den Platz entwerfen und einen gemeinsamen Bebauungsplan aufstellen.

Doch weder zu diesem Zeitpunkt noch in den folgenden Jahren konnten sich die beteiligten Bezirke auf einen gemeinsamen Plan einigen. Inzwischen war der Erste Weltkrieg ausgebrochen.

Die Bebauungspläne für den Platz nahmen konkrete Formen an, aber die Streitigkeiten weiteten sich immer mehr aus. Sämtliche Minister der einzelnen Domänen bestanden plötzlich aufgrund ihrer Verwaltungszugehörigkeit auf die Berücksichtigung ihrer individuellen Vorstellungen. Selbst der damalige Oberpräsident der Mark Brandenburg, Herr von der Schulenburg, kämpfte um ein Mitbestimmungsrecht. Er begründete dieses mit dem Argument, daß der Kreis Teltow, der zum damaligen Zeitpunkt direkt an den Platz heranreichte, der Mark Brandenburg unterstünde.

Während Steglitz sich bei dem Streit eher zurückhielt, setzte die Domäne Dahlem alles daran, den Rastatter Platz entsprechend der Bauweise des Ortes in aufgelockerter Form mit Villen oder Landhäusern zu gestalten. Wilmersdorf dagegen strebte eine geschlossene Bauweise mit Wohnblocks für Klein- und Kleinstwohnungen an, was viele Minister nicht wollten.

Wilhelm II. für Kompromiß

Da der Streit einfach kein Ende nehmen wollte und die Meinungen und Ansichten der vielen Beteiligten trotz Dutzender von Konferenzen nicht unter einen Hut zu bringen waren, entwarfen die Minister von Breitenbach und Freiherr von Schorlemer schließlich eine Eingabe. Diese schickten sie mit der Bitte »um allerhöchste Entscheidung« an den Kaiser Wilhelm II. Der genehmigte dann — gezeichnet »großes Hauptquartier, 28. April 1917« — den ihm vorgelegten Bebauungsplan, der den verschiedenen Forderungen der einzelnen Beteiligten wenigstens einigermaßen gerecht wurde.

Die Bebauung des Breitenbachplatzes wurde dann später auch in dieser Form vorgenommen und entspricht im großen und ganzen dem, wie sich der Platz uns heute darstellt.

Wer den Breitenbachplatz heute überquert, wird schnell feststellen, daß dieser mit seiner geschlossenen viergeschossigen Reihenhausbebauung stark von den Dahlemer Verhältnissen abweicht. Villen gibt es hier keine. Die heutigen Anwohner ahnen wohl kaum, unter welchen Schwierigkeiten die Bauten um den Platz herum damals entstanden sind. Nur die Straßenschilder als stumme Zeugen der Geschichte, erinnern noch an die Männer, die letztlich über die Gestaltung der umstrittenen Gegend entschieden. Die ehemalige Freiburger Straße erhielt den Namen des damaligen Finanzministers »Lenze«. Die Verbindungsstraße zwischen dem Breitenbachplatz und dem U-Bahnhof Podbielski-Allee erhielt zur Erinnerung an den damaligen Minister für Landwirtschaft die Bezeichnung »Schorlemer Allee«. Die Straße an der Ostseite der Dahlemer U-Bahn-Strecke wurde nach dem Direktor im Landwirtschaftsministerium, Brümmer, benannt. Die gegenüberliegende Straße auf der westlichen Seite der U-Bahn erhielt ihren Namen nach dem Oberfinanzrat Löhlein.

Heute ein Verkehrsknotenpunkt

Den Breitenbachplatz, der noch bis vor dem Ersten Weltkrieg als Künstlerkolonie galt und wo noch wirkliche Bohemiens wohnten, sucht man heute in jedem Stadtführer unter dem Stichwort Sehenswürdigkeiten vergeblich. Heute ist er, und das nicht zuletzt durch den Bau der Autobahnbrücke Ende der siebziger Jahre, zum Bindeglied großstädtischen Verkehrs geworden. Ulrike Wojcieszak

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