: Wahrheit von unten und oben
■ Die Kirche im Sozialismus: Eine Podiumsdiskussion in der Humboldt-Uni
Keine Talk-Show, die sich noch nicht dieses brisanten Themas angenommen hätte, wie sie es denn hielten: die Ostkirche und die Obrigkeit. Denn wo sonst fliegen noch so schön die Fetzen, wenn Opfer sich gegenseitig zerfleischen, unter fachkundiger Anleitung von moralfesten, westdeutschen Sauberwesten!
Die Friedrich-Ebert-Stiftung hatte schon Bedenken, ob sie mit einer neuerlichen Auflage dieses Themas am verganenen Dienstag das Audimax der Humboldt-Universität überhaupt noch füllen könnten. Doch diese Sorge war überflüssig — das Audimax voll.
Vielleicht lag es an dem Versprechen: »Wie es wirklich war«. Das wäre noch ein ganz neuer Aspekt in der Debatte über die »Kirche im Sozialismus«, deren Vertreter jetzt mal als Helden, dann als Spitzel und bestenfalls als Realisten in die Zange genommen werden. Gut fünfhundert Menschen hatte das Versprechen der Wahrheit angezogen, darunter viele, deren Arbeitgeber Kirche heißt: Sie wollten Rechenschaft, und das besonders von einem, nämlich Generalsuperintendent Dr. Günther Krusche, der seine Amtsgeschäfte vorläufig wegen der von ihm zugegebenen Stasi-Kontakte ruhen läßt.
Doch Dr. Krusche hatte kurzfristig abgesagt: er glaube, so eine Diskussion augenblicklich nicht durchzustehen. Statt seiner war Michael Passauer, Stadtjugendpfarrer aus Berlin, geladen worden, der auf dem Podium neben der Prominenz Platz nahm: Altbischof Dr. Albrecht Schönherr, Pfarrer Rainer Eppelmann sowie Philosophiedozent Richard Schröder, der als SPD-Fraktionsvorsitzender in der Volkskammer zu bescheidenem Ruhm gelangt war. Und noch mal »statt«: Nicht Anke Martiny moderierte, sondern Peter Merseburger. Er machte das ebenso sachkundig wie zurückhaltend — allerdings war bei dieser Podiumsbesetzung auch keine Schlammschlacht zu erwarten.
Wie es wirklich war: Etwa alles ein Irrtum? — Altbischof Schönherr klärte über ein grundlegendes Mißverständnis auf: Daß er nämlich seinerzeit von der Kirche in dieser Gesellschaft gesprochen habe, damit aber nicht deren Gesellschaftsordnung — den Sozialismus — gutheißen wollte. Und in den letzten, kritisierten Jahren war er ohnehin nicht mehr verantwortlich. Opportunist Schröder gab dagegen zu bedenken, daß »Kirche in der DDR« seinerzeit nicht international akzeptiert worden wäre, wegen der Gänsefüßchen, und daß es in Ungarn und der CSSR viel schlimmer gewesen sei mit der staatlichen Kontrolle. Angst hätten sie gehabt, gibt Rainer Eppelmann offen zu, der damals zwischen allen Stühlen saß und dessentwegen der Altbischof rund zwanzigmal zu »seinem« Staatssekretär zitiert wurde. Was es heißt, in verantwortlicher Stellung zu sein, hat er nach Mauerfall und Wende um so mehr erfahren dürfen, so daß sein Urteil heute eher milde ausfällt: »Jeder meinte es an seiner Stelle ernst.«
Einzig Pfarrer Passauer ist radikaler: »Waren wir zu ängstlich?« fragt er mit Blick auf die Jugend, die wesentlich radikaler vorging. Damit waren die Positionen geklärt: Der Altbischof als theologischer Historiker mit biblischer Gelassenheit, Eppelmann als stolzes Enfant terrible der DDR-Kirche, Richard Schröder als unverbesserlicher Pragmatiker und Michael Passauer als Mann von der Basis: Helden brauchten sie alle nicht zu sein, über den Verdacht der Spitzeltätigkeit sind sie erhaben; also alles Realisten, die mehr oder weniger einsahen, wie alles funktionierte: Der Druck von der Kirchenbasis gelangte via Kirchenfunktionäre an die Staatsspitze. Was Merseburger als Dialektik des Widerstands zusammenfaßte: Die unten wollten ein bißchen zuviel, oben wurde ein bißchen zuviel geblockt, was bleibt: Ein bißchen, ohne das die Wende — zumindest so — nicht geklappt hätte. Will sagen: die Kirche war wichtig, aber nicht unfehlbar, denn auch dort waren nur Menschen tätig.
Wie es wirklich war: Die Kirche war ebensowenig perfekt wie der Sozialismus, doch bekommt sie noch eine Chance. Rebellion und Anpassung standen nebeneinander, was Frontmann Pfarrer Passauer zu der Aussage veranlaßt, daß die Kirche immer nur so gut war, wie sie »vor Ort« handelte. Die Kirche gab es jedenfalls nicht: Was der Wahrheit ziemlich nahe kommt, denn wie es wirklich war, war für jeden sehr verschieden — so verschieden wie auch die Personen auf dem Podium, die nur einen Ausschnitt aus dem Regenbogenspektrum der Kirche zeigten. Und wie schwer sich die Kirche immer noch mit ihrer Vergangenheit tut, das zeigt sich nicht zuletzt daran, daß diese Diskussion von der Friedrich-Ebert-Stiftung veranstaltet wurde und nicht von der Kirche selber. Lutz Ehrlich
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