„Zur Auslieferung gibt es keine Rechtslage“

■ Der ägyptische Rechtsexperte Kamal Abul-Magd zur Auslieferung der mutmaßlichen Lockerbie-Attentäter

Kamal Abul-Magd lehrt Verfassungsrecht an der Kairoer Universität. Er ist Richter und Vizepräsident des Verwaltungsgerichtes der Weltbank und Mitglied des Berufungskomitees der Afrikanischen Entwicklungsbank. Er hat vor allem Beiträge zum Völker- und Menschenrecht publiziert. Abul-Magd gehört zu dem Kreis der moderaten islamistischen Bewegung, einer Gruppe von Intellektuellen, die sich „Neue Traditionalisten“ nennt.

taz: Welche Rechtsbasis hätte eine Auslieferung der beiden Libyer?

Kamal Abul-Magd: Es besteht weitgehende Übereinstimmung unter Juristen des internationalen Rechts, daß es keinen Zwang für Staaten gibt, Personen auszuliefern, die eines Verbrechens verdächtig sind. Es gibt Verträge zwischen Staaten darüber, aber keine allgemein gültige Rechtslage. Man muß hinzufügen, daß die meisten Länder - mit Ausnahme der USA und Großbritanniens - in keinem Fall akzeptieren, ihre eigenen Bürger auszuliefern. Was nicht heißt, daß sie für ihre Verbrechen nicht bestraft werden. Sogar innerhalb der Arabischen Liga gibt es einen Vertrag, laut dem die Mitgliedsstaaten ihre eigenen Bürger nicht ausliefern sollen. Aber das internationale Recht ist im Umbruch, so daß die Grenze zwischen nationalem und internationalem Recht verschwimmt. Viele Resolutionen verurteilen internationalen Terrorismus. Aber sie haben offensichtlich nicht die Kraft, Staaten zur Auslieferung ihrer eigenen Bürger zu zwingen. Es ist außerdem natürlich heikel, ein juristisches Problem - nichts anderes ist die Auslieferung - zu einem Problem des internationalen Rechts zu machen, wobei eine politische Komponente hinzugefügt wird. Ich zweifele, daß dies legitim ist, da auch der Friede gefährdet wird.

Gibt es bisher einen Fall, daß jemand an eine Organisation wie die Arabische Liga oder die UN ausgeliefert wurde?

Nicht daß ich wüßte. Aber internationale Organisationen bekommen eine immer größere Rolle, die aber noch nicht definiert wurde.

Was wäre eine Möglichkeit, diese Affäre zu lösen?

Zuerst muß man herausbekommen, ob diese beiden Männer tatsächlich schuldig sind. Man könnte einen Prozeß in Libyen veranstalten mit Beobachtern von allen Ländern, die an diesem Fall interessiert sind. Interview: Karim El-Gawhary