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Brasilien verneigt sich nach Norden

Auslandsschulden zwingen Lateinamerika im Vorfeld der Welt-Umweltkonferenz UNCED in die Knie  ■ Aus Rio Astrid Prange

Konfrontation ist ein Wort, das in Südamerika zur Zeit auf dem Index steht. Auf der Welt-Umweltschutzkonferenz der UNO (UNCED), die im Juni in Rio de Janeiro stattfindet, wollen die Staaten Lateinamerikas Gemeinsamkeit demonstrieren. Darauf einigten sich die Staatschefs von Brasilien, Argentinien, Paraguay, Chile und Uruguay in der südbrasilianischen Stadt Canela. Anstatt die reichen Industriestaaten für die Umweltzerstörung verantwortlich zu machen, wollen die Südamerikaner „in die gemeinsame Zukunft blicken“.

Brasilien, einst mächtiger Sprecher der „Gruppe 77“, eines Zusammenschlusses der Entwicklungsländer, kehrt seinen Leidensgenossen den Rücken zu. „Präsident Collor hat in Brasilien der Ersten Welt verkündet, daß er sich einen kämpferischen Diskurs nicht mehr leisten kann“, bedauert Muriel Saragoussi, Vertreterin der brasilianischen Umwelt- und alternativen Entwicklungsgruppen, sogenannter Non-govermental Organisations (NGO).

Außerdem sei die Regierung der Meinung, Brasilien müsse sich als Gastgeberland der UNCED neutral verhalten. In Wirklichkeit aber haben die diplomatischen Verrenkungen zwischen Anklage und Annäherung an die Industriestaaten ihre Ursache in dem wachsenden Schuldenberg der Region.

Das diplomatische Manövrieren zwischen Forderungen nach neuen Krediten und verstärktem Technologietransfer sowie vorsichtigen Schuldzuweisungen an die Industrienationen hat den politischen Spielraum Brasiliens, einst Sprachrohr der Drittweltländer, drastisch eingeschränkt. Doch nicht nur die brasilianische Regierung und ihre lateinamerikanischen Nachbarn, alle Regierungsvertreter, die an der UNCED teilnehmen, können sich auf eine kalte Dusche der NGOs gefaßt machen.

„Wir werden genau das machen, worin sich die Regierungen bislang als unfähig erwiesen haben, nämlich Verträge unterzeichnen“, kündigt Agrarwissenschaftlerin Saragoussi das Ziel der alternativen UNCED- Parallelkonferenz an. Die vier wichtigsten Punkte, zu denen sich die Vertreter der rund 2.000 Umweltschutzorganisationen in Rio schriftlich verpflichten wollen, sind die Gründung einer alternativen Weltbank, die Einrichtung einer Technologiebank, die Untersuchung der Auslandsschulden auf ihre Rechtmäßigkeit hin sowie die Errechnung der moralischen Schuld der Industrienationen gegenüber den Entwicklungsländern.

Obwohl Südamerika in dem Zeitraum von 1980 bis 1990 für den Schuldendienst nach Angaben des argentinischen Wirtschaftswissenschaftlers Also Ferrer über 200 Milliarden Dollar in den Norden gepumpt hat, wuchs der Schuldenberg der Region in diesem Jahr auf 430 Milliarden Dollar an. Brasiliens Anteil beläuft sich dabei nach Angaben der Zentralbank auf 155 Milliarden Dollar. Trotz dieses massiven Kapitalexports in den reichen Norden wuchsen die Auslandsschulden des Landes im selben Zeitraum von 62 Milliarden Dollar im Jahr 1980 auf 121 Milliarden Dollar im Jahr 1990.

„Lateinamerika ist ein Opfer finanzieller Erpressung“, stellt Muriel Saragoussi klar. Wegen der Auslandsschulden könnten es sich die lateinamerikanischen Länder nicht leisten, so harsch aufzutreten wie zum Beispiel Malaysia. Der asiatische Tropenholzexporteur hat bereits angekündigt, ohne massive Gegenleistungen nicht vom Kahlschlag seiner Regenwälder abzulassen. Lateinamerika hingegen müsse im Namen des Schuldendienstes weiterhin Raubbau an der Natur betreiben, meint die 33jährige Agrarexpertin.

Trotz des nachgewiesenen Zusammenhangs zwischen Umweltzerstörung und Auslandsverschuldung hat bei dem letzten Treffen der 13 südamerikanischen Staatsoberhäupter Anfang Februar in der kolumbianischen Stadt Cartagena keiner der Präsidenten das herrschende Wirtschaftsmodell in Frage gestellt. Im Gegenteil. Die Mehrheit der Staaten Lateinamerikas ist dabei, ihre Wirtschaft nach dem neoliberalen Rezept des Weltwährungsfonds (IWF) auszurichten.

Die vom IWF verordnete Roßkur sieht stets dieselben Maßnahmen vor: Privatisierung, Öffnung der geschützten Binnenmärkte, Sanierung der Staatsfinanzen, das bedeutet in der Praxis meist die Streichung der Sozialausgaben, Rezession und die damit verbundene Arbeitslosigkeit. Chile und Venezuela, die mit der Umstellung ihrer Wirtschaften bereits zu Beginn der 80er Jahre begonnen haben, verzeichneten 1991 wieder Wachstumsraten. Doch der Boom kommt nur einer kleinen Minderheit zugute. Die Masse der Bevölkerung bezahlt die Umstrukturierung der Wirtschaft auf Export von Devisen und Rohstoffen mit Arbeitslosigkeit, Kaufkraftverlust und Menschenrechtsverletzungen. Daß die Leidensfähigkeit nicht unbegrenzt ist, zeigen die jüngsten Aufstände in Venezuela.

Um den Widerspruch zwischen der freien Marktwirtschaft und der Umweltzerstörung zu überwinden, propagieren die lateinamerikanischen Staatschefs nun das sogenannte „umweltfreundliche Wirtschaftswachstum“ (sustainable development).

Ihre große Hoffnung ist der vereinfachte Zugang zu Spitzentechnologie und neuen Geldern nach der UNO-Umweltkonferenz. „Im Gegensatz zu den Schuldenverhandlungen könnten die Umweltprobleme Lateinamerika Vorteile verschaffen, wenn die Länder der Region eine gemeinsame Position in den Verhandlungen mit den Industrienationen vertreten“, spekuliert der anläßlich der UNCED erstellte Umweltbericht der brasilianischen Regierung mit dem bezeichnenden Namen „Die Herausforderung des umweltverträglichen Wachstums“.

Für Aloizio Mercadante, Abgeordneter der Arbeiterpartei (PT) im brasilianischen Parlament, ist das Schlagwort vom „umweltverträglichen Wachstum“ nichts anderes als grüne Rhetorik. „Die südamerikanischen Staaten stimmen das Loblied auf den grünen Neoliberalismus an, nur um im Ausland anzukommen“, erklärt er. In Brasilien selbst würde sich diese Sorge um die Umwelt nur in einzelnen isolierten Beschlüssen, wie zum Beispiel dem Schutz des Yanomanigebietes, widerspiegeln.

„Sicher ist, daß sich die Bilanz zugunsten des Südens verschieben wird“, meint Muriel Saragoussi. Gleichzeitig ist sie sich jedoch bewußt, daß die Aufrechnung von moralischen Verbrechen seitens der „Entdecker“ eine „äußerst delikate Angelegenheit“ ist. „Wie schwer fällt zum Beispiel die Ausrottung von Indianervölkern finanziell ins Gewicht?“

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