piwik no script img

Scharfer Polizeischutz für Berlin

Parlament verabschiedet Polizeigesetz/ Opposition: Eines der schärfsten Polizeigesetze Deutschlands  ■ Aus Berlin Hans-Martin Tillack

Dieter Schenk, der stellvertretende Berliner Polizeipräsident, ist ein jovialer, fast schon gemütlicher Mann. Gerne zitiert er Polizeiwitze von Gerhard Seyfried und schüttelt sich dabei vor Lachen. Doch manchmal gerät der eingeschriebene Sozialdemokrat, der sich im Kampf gegen Wirtschaftskriminelle Verdienste erwarb, ernsthaft in Erregung. Auf das Fünffache sei die Zahl der Einbrüche in Berlin in den letzten 25 Jahren gestiegen, die der Raubtaten sogar auf das Zehnfache. Schuld daran sei, glaubt Schenk, ein „relativ kleiner Kreis von Berufsverbrechern und Wiederholungstätern“.

Diesen Profis des Verbrechens möchte Schenk das Handwerk legen. Das nötige Handwerkszeug, das ihm noch fehlte, verschaffte ihm jetzt das Berliner Abgeordnetenhaus. Gestern segnete das Parlament mit der Stimmenmehrheit der Regierungsparteien CDU und SPD ein neues Polizeigesetz ab, das nach Meinung der Union „das modernste“, nach Auffassung der Oppositionsparteien Bündnis 90/Grüne, FDP und PDS jedoch eines der schärfsten und polizeifreundlichsten Deutschlands ist.

Die Novelle des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) bietet Schenk das gesamte Arsenal verdeckter Ermittlungsmethoden — und die Erlaubnis, diese Mittel schon beim bloßen Verdacht einzusetzen, daß „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ im Anzug sein könnten. Schenk darf verdeckte Ermittler losschicken, verdächtigte Personen rund um die Uhr observieren lassen, Videokameras und Richtmikrophone auf deren Wohnungen ansetzen, Wanzen und Peilsender installieren und per Rasterfahndung nach den schwarzen Schafen fahnden. Sogar die ultrakonservative Deutsche Polizeigewerkschaft, sonst auf striktem Kurs gegen den Sozialdemokraten Schenk, lobte den von ihm mitentworfenen Entwurf. Ihr Vertreter vermißte nur eins: das Recht auf den „finalen Rettungsschuß“, das im CDU-regierten Baden-Württemberg existiert.

Nicht einmal im tiefschwarzen Bayern, klagte der grüne Rechtsexperte Wolfgang Wieland, habe die Polizei derart weitreichende Befugnisse erhalten. Dort formulierten die Politiker keine schwammige Pauschalformel, sondern einen konkreten Katalog von Straftaten, die verdeckte Ermittlungen erst rechtfertigen würden. Hamburg und Schleswig-Holstein taten es den Bayern gleich. Das Kieler Parlament strich die verdeckten Ermittler sogar ganz.

In Berlin dagegen sah der für starke Worte bekannte Juraprofessor und ASOG-Kritiker Eggert Schwan sogar die „NS-Volkskartei fröhliche Urständ feiern“. Denn selbst völlig unbescholtene Bürger müssen es nach der ASOG-Novelle erdulden, ins Visier und anschließend in die Datenspeicher der Polizei genommen zu werden — dann, wenn sie mit den Verdächtigten „in einer Weise in Verbindung stehen, die erwarten läßt, daß die Maßnahme zur vorbeugenden Bekämpfung der Straftaten beitragen wird“.

Alle Besucher einer Kneipe, in der mit Drogen gehandelt werde, müßten künftig mit ihrer Erfassung rechnen, folgerte der Berliner Datenschutzbeauftragte Hans-Jürgen Garstka, der bis zum Schluß gegen die ASOG-Novelle Sturm lief. Und selbst ein veritabler Polizeipräsident, der Düsseldorfer Hans Lisken, den die Grünen als Experten eingeflogen hatten, formulierte bündig: „Das ist der Zugriff auf jedermann ohne jeden konkreten Grund. Das ist der Polizeistaat.“

Dennoch — und anders als in anderen Bundesländern — drang die Diskussion um das neue Polizeigesetz in Berlin kaum über einschlägige Fachzirkel hinaus. Schenk hatte stets die passende Beruhigungsformel parat: Alles, was das ASOG erlaube, habe die Polizei bisher schon praktiziert. Ein Polizeistaat sei trotzdem nicht entstanden. Die SPD-Justizsenatorin Jutta Limbach, die zusammen mit Garstka kurz vor Schluß der Beratung noch einige Punkte des Gesetzes entschärfen konnte, fand dieses Argument „ganz besonders perfide“. Schließlich habe der Polizei bisher für diese Praktiken oftmals die gesetzliche Grundlage gefehlt. Früher, so Garstka, mußte die Polizei noch eine „konkrete Gefahr“ vorweisen. Nun genüge „bereits eine kriminalistische Bewertung unabhängig von einer konkreten Gefahrenlage“.

„Die nachgewiesene Zurückhaltung der Polizei“ garantiere schon, daß diese Befugnisse nicht mißbraucht würden, bemühte sich Schenk stets zu beruhigen. Es sei nicht die staatliche Gewalt, sondern die wachsende Macht privater Verbrecherringe, die „bald nicht mehr kontrollierbar“ sei. Und weil der Vizepräsident nicht nur ein engagierter Polizist, sondern auch ein ehrlicher Mann ist, bekannte er vor dem Abgeordnetenhaus ganz offen, welches Ziel er mit dem neuen ASOG verfolge: Er wolle einen „Informationskuchen“ backen, von dem sich die Polizei, aber auch andere Behörden je nach Bedarf ein Stück herausschneiden können.

Schenk konnte sich darauf berufen, daß die Polizei die im ASOG formulierten Befugnisse auch in vielen anderen Bundesländern hat. Doch an einem wichtigen Punkt gingen SPD und CDU in Berlin weiter als überall sonst. Nicht nur beim Verdacht auf Straftaten sollen verdeckte Ermittlungen erlaubt sein, auch bloße Ordnungswidrigkeiten sollten ihren Einsatz rechtfertigen können. Kritiker warnten, damit wäre es sogar erlaubt, „Wanzen in allen Autos“ zu installieren, um Temposünder zu erwischen.

Schenk dagegen beharrte auf diesem Paragraphen: Er wolle auch Umweltsündern auf die Spur kommen, die oft nur wegen Ordnungswidrigkeiten belangt werden könnten. An diesem Punkt, immerhin, trugen CDU und SPD am Ende der Kritik Rechnung. Jetzt läßt das Gesetz Ordnungswidrigkeiten als Eingriffsermächtigung nur noch in zwei Fällen zu: bei Umweltschädigung oder Schwarzarbeit.

Bis kurz vor Schluß der wochenlangen Beratungen im Parlament waren die Sozialdemokraten keinen Zentimeter von ihrer polizeifreundlichen Linie gewichen und hatten treu die Argumente wiederholt, die Schenk ihnen eingegeben hatten. Selbst ein Berliner Fossil der 68er Zeit, der Sozialdemokrat und Anwalt Klaus Eschen, reihte sich in die Front der ASOG-Befürworter ein.

Eschen, der seinerzeit mit Christian Ströbele und Horst Mahler das legendäre „Revolutionäre Anwaltskollektiv“ mitbegründete, gehörte jetzt als Mitglied des zuständigen SPD-Arbeitskreises zu den Autoren des Gesetzentwurfs und verteidigte zäh jeden Paragraphen des Werkes. Wenn der Bürger den „Schutz des Staates in Anspruch“ nehme, argumentierte der Altlinke in einer Parlamentsanhörung, sollte er akzeptieren, „daß die Polizei in kontrollierter Weise von seinen Daten Gebrauch macht“. Die CDU staunte. „Das tat weh“, bekannte Eschens grüner Anwaltskollege Wieland.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen