Nach 500 Jahren endlich zuhören

■ Musik der Welt und Übermacht Europa / Eine Tagung über Eigenes und Fremdes in der Neuen Musik

Nach 500 Jahren Kulturzerstörung ist es für uns Europäer an der Zeit, endlich einmal zuzuhören. Darum versammelte die Bremer „projektgruppe neue musik“ KomponistInnen aus mehr oder weniger kolonisierten Ländern unter dem Titel „Das Eigene und das Fremde — Musik zwischen Aneignung und Enteignung“.

Veranstalterin und Tagungsgäste waren gespannt: Klingt deren Neue Musik wirklich anders als „unsere“? Wie schlägt sich die schmerzliche Erfahrung der europäischen Bevormundung und andererseits die Entdeckung eigener Traditionen in der Musik nieder?

Von vorneherein war klar, daß alle sechs KomponistInnen (leider konnte die Koreanerin Younghi Pagh-Paan wegen Krankheit nicht kommen) unterschiedliche Antworten bieten würden. Fast alle haben sich auf die Suche nach traditionellen Wurzeln in der Musik ihrer Heimatländer gemacht und sie — wie z.B. Julio Estrada aus Mexico — geradezu westlich abstrahiert, oder, wie Younghi Pagh Paan, direkt zu

Blick übern europäischen Flügelrand auf die balinesischen Gongs.Foto: Wiemer

neuem musikalischen Material gemacht.

Die vorgestellten musikalischen Konzepte wurden natürlich auch kritisch beleuchtet: der Musikwissenschaftler Peter Niklas

hierhin bitte das

Foto mit Blick auf

offenen Flügel,

dahinter Gongs

Wilson stellte z.B. fest, daß zwar auf sehr verschiedene Weise mit traditionellem Material verfahren wird, daß aber so europäische „Errungenschaften“ wie die dominierende KomponistInnen

rolle, das Diktat der Notation, die Hierarchien der Interpreten im Ensemble und die strenge Aufführungsetikette unangetastet blieben.

Nur Malcolm Goldstein schien hier durch seine tiefempfundene und selbst interpretierte Indianische Musik neue Wege zu gehen. Sein Streichquartett, das er zusammen mit Mitgliedern des „ensemble recherche“ aus Freiburg aufführte, beinhaltete improvisierte Passagen, zudem hatten sich die vier MusikerInnen nicht in Quartett-Manier auf das Podium gedrängt, sondern den Raum zum Improvisieren wörtlich genommen.

Zwei Tage sind irgendwann zuende, und so mußten einige Aspekte am Rande bleiben. Von dem israelischen Komponisten Yuval Shaked konnte nur sein Hörspiel „Beispiel“, nicht aber seine Musik aufgeführt werden. Sein Beitrag zur Tagung bestand außerdem in einer Einschätzung der Problematik einer Musikkultur in einem künstlich entstandenen Staat (siehe Interview).

Der Dialog mit anderen (und nicht mehr so fremden) Musikauffassungen hat begonnen - auf der Pro Musica Nova (14.-18. Mai) wird Gelegenheit sein, ihn gerade in Bezug auf Amerika weiterzuführen. Wilfried Wiemer