Kein Wortwitz an die Wolga

■ Abschied vom deutsch-amerikanischen Fernsehsender RIAS-TV in Berlin

Eine „feindliche, feindselige Einmischung“ in die Angelegenheiten der DDR beklagte „Sudel-Ede“ am 22.August 1988 in seinem Schwarzen Kanal. Anlaß: die Premierensendung des deutsch-amerikanischen „RIAS-TV“ in Berlin. Doch nicht nur der Propagandapapst (Ost) geriet damals in Wallung: die Grünen befürchteten ein bonngesteuertes Regierungsfernsehen, Walter Momper sah „die Totengräber des SFB“ am Werke, und der Berliner 'Tagesspiegel‘ zog wegen des neuen Senders bis vor das Oberverwaltungsgericht — vergeblich. Schließlich kam dann alles doch ganz anders. Zur Abschiedssendung am Freitag abend verdrückte denn auch manch alter Kritiker heimlich eine Träne.

Allabendlich um dreiviertel sechs verdrängte das Käsescheibenlogo des RIAS-Abendjournals das Berliner Sat.1-Programm auf Kanal 25. In einem halbstündigen Sendefenster flimmerten dann früher als bei der Konkurrenz internationale News, Aktuelles aus Berlin und buntes Allerlei — die Alternative zur drögen Abendschau des SFB. Ebenfalls erfolgreich: das 4stündige RIAS-Frühstücksfernsehen und das modern gemachte Jugendmagazin High-Life.

Was vorgestern mit viel Rückkopplungsgekreische seinen Abschied nahm, war einmal die Idee deutsch-konservativer Kreise. „Adäquate und zielgerichtete Information der Fernsehzuschauer in der DDR“ hieß der Programmauftrag. 90 Prozent der Gelder spendierte der Bundestag, den Rest die Amerikaner— etwa 90 Millionen jährlich. Rechtsgrundlage für das heimliche Regierungsfernsehen war der Berliner Sonderstatus. Diepgen selbst ging dafür im US-Kongreß hausieren— mit Kanzlers Rückendeckung. Reagan gab schließlich seinen Segen, und RIAS-TV konnte auf Sendung gehen — als Filiale der „US Information Agency“ (USIA). Oberster Hausherr in der Voltastraße war daher der US-Präsident persönlich — vertreten durch einen amerikanischen „Chairman“. Aber der hielt sich dann doch dezent zurück. Das späte Kind des Kalten Krieges lag inzwischen allzu sehr im Fadenkreuz der Kritiker: keine Chance für plumpe Propaganda.

Die junge RIAS-Crew entdeckte denn auch bald die große Freiheit. Ohne einen quengeligen Rundfunkrat im Rücken texteten die Moderatoren zunehmend witziger und engagierter. Anfangs als „Valium-Fernsehen“ verschrieen, avancierte RIAS-TV zur „Perle in der Berliner Medienlandschaft.“ Doch mit der deutschen Einheit brauchte diese eine neue Fassung: Ein dreimonatiger Testlauf als bundesweiter Frühstückssender für ARD und ZDF erreichte zwar bis zu neun Millionen Frühaufsteher — der Zuschlag ging dann aber trotzdem an die Deutsche Welle. Unter ihrem Dach verbreiten die 220 Mitarbeiter des einstigen RIAS-TV nun ab April ein wohl eher positives Deutschlandbild in alle Welt. Für die konservativen Ziehväter des Senders quasi die Erfüllung ihrer Wünsche: Werbung für Germania, zwar nicht daheim, doch dafür immerhin weltweit via Satellit. Zuviel Wortwitz ist dabei natürlich nicht mehr angesagt — von wegen: Verstehen das die Wolgadeutschen? Moderator Jürgen Drensek geht deshalb vorsorglich. Und Sat.1 stopft die Programmlücke — mit Bingo. Marc Fest