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ALLES BAMBI ODER WAS? Von Mathias Bröckers

Ich habe inzwischen alle, fast alle, der im letzten Jahr in 'Super!‘ zu Asylanten, Asylbewerbern einerseits und Skinheads, Neonazis, Fremdenfeindlichkeit in der alten DDR erschienenen Artikel durchgelesen. Vielleicht gibt es hier und da mißverständliche Unter- und Zwischentitel — nein, nicht einmal das, wenn man drum herum liest — aber im ganzen ist eine für ein Boulevardblatt erstaunliche Linie der Versöhnungsaufrufe, Gewaltverachtung usw. zu erkennen. Knallig, ja. Großmäulig, ja. Aber nicht einmal primitiv. Einiges, worüber der Kopf zu schütteln wäre, wenn er nicht von anderem, wahrhaft Bösen, schwer genug wäre.“

Der da mit schwerem Kopf „drum herum liest“, um 'Super!‘ super zu finden, heißt Peter Handke. Und er tut es in seiner Eigenschaft als Juror des von Hubert Burda gestifteten Petrarca-Preises. „Stammt das Geld für den angesehenen Literatur-Preis aus schmutziger Quelle?“ hatte die 'Zeit‘ gefragt und die Jury wegen der Unvereinbarkeit von Hochkultur und „Schmutzblatt“ zum Rücktritt aufgefordert. Gut. Nur ist der Petrarca-Preis über zehn Jahre alt, und es wundert doch, daß erst 'Super!‘ kommen mußte, bevor dem deutschen Feuilleton auffällt, daß in dieser mäzenatischen Zwangsehe des reinen Geistes mit der 'Bunten‘ etwas nicht stimmt, wo doch noch ein Magermilch-Joghurt mehr lebendige Kultur enthält als der gesamte Burda-Clan: Zum Faszinierendsten aber zählt das Nordufer. Hier sind auf einer Länge von nur sieben Kilometern zu Fuß all die Stätten zu erwandern, an denen Jesus lehrte (..) Alle reden von der Bergpredigt — an dieser Stelle wurde sie gehalten. (Hubert Burda, 'Bunte‘, Nr. 51/1983) Sicher, das ist sauberer Journalismus — wo es aber um Niveau geht, und nur darum geht es letzlich, ist Dr. Huberts Bergpredigt-Satz nicht weniger obszön als die Headlines seiner Super-Zeitung. Einer der letzten wachsamen Kulturkritiker der Republik, der Verleger Jörg Schröder, hat das bereits vor zehn Jahren bemerkt und auf zwei taz-Seiten (15.4.1983, nachgedruckt in 'Mammut‘, März-Verlag 1984, und Die taz — Das Buch, Zweitausendeins 1989) über die posthume Petrarca-Preis-Verleihung an seinen Ex-Autor R.D.Brinkmann alles erzählt, was man über diesen Bambi- Kulturzirkus wissen muß: Da saß nun die ganze Festversammlung, Bazon (Brock) holte lässig aus einer Frischhaltetüte den Lorbeerkranz (..), klatschte ersatzweise der armen Maleen Brinkmann aufs Haupt und hielt natürlich eine längere Rede. (..) Also eine richtige Brinkmann-Atmosphäre, auf der sich dieser Brinkmann drei Jahre drauf ausgeschissen hätte, schreibend, ...wie man da beim Lämmeressen, und der Lorbeermuff und die Witwen, na ja, und viele Tischreden. (..) Und endlich draußen auf der Lavendelwiese, sehe ich doch da diesen unglücklichen Handke, wie der tatsächlich auf einem leichten Hang Kobolz schießt... Das mußt Du Dir einmal vorstellen, einer der es nicht kann, jemand der nicht fröhlich ist, der ein Erwachsener ist, der Schriftsteller ist und Handke heißt, im Lavendel drei, vier mißratene Rollen nach vorne! (..) In Juan-les-Pins fand ich später noch ein Schreiben des Lyrikers Wondratschek vor, der sich beklagte, daß er nicht der Preisträger war, „gegen einen Toten kommt man eben nicht an“. Das ist Literatur.

Sage also niemand, er hätte von den Grauen des Kultur-Burdaismus nichts gewußt. 'Super!‘ ist keine Perversion dieses Geistes, sondern bloß die Konsequenz.

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