piwik no script img

Albanisch-deutscher Sprachunterricht

■ Eine nächtliche Unterhaltung im Hotel Arberia zu Tirana, begleitet von Stromausfällen, Trinksprüchen und Popmusik

Ahmed und Ismail sind Freunde aus Tirana. Der eine flüchtete 1990 in die italienische Botschaft, der andere in die deutsche. Achmed arbeitet bei der Bundesbahn in München, Ismail als LKW-Fahrer in Mailand. Beide sprechen fließend die Sprachen ihrer Gastgeber-Länder.

Sie sind zu Besuch in ihrer Heimatstadt, begleitet von zwei ausnehmend schönen jungen Damen. Es ist Nacht, wir sitzen im Devisen-Restaurant des Hotels Arberia. Im Zyklus der periodischen Stromausfälle werden die immergleichen Speisen serviert.

„Komm zu uns rüber“, sagt Ahmed, „zuerst dachte ich, du bist einer dieser Geschäftemacher aus dem Kosovo, die uns erst hängenließen und jetzt das Land unter unserem Hintern wegkaufen. Aber ich höre, du bist Deutscher.“ Wir machen uns bekannt und trinken. „Was verdienst du bei deiner Zeitung?“, fragt Ahmed. „Knapp 2.500 netto“, antworte ich. „Ich kriege 2.700, aber mach dir nichts draus, ich hab' die schwerere Arbeit.“

„Wie gefallen dir unsere Mädchen?“, erkundigt sich Ismail. „Was würden sie in Deutschland kosten für eine Nacht?“ „Ich mag solche Gespräche nicht“, sage ich müde. „Sei nicht so zimperlich“, antwortet Ahmed, „bei euch dreht sich doch sowieso alles ums Geld.“ Er schiebt seiner Begleiterin den Teller herüber. „Sie mag Pommes frites“, erklärt er, „sie ist ganz wild drauf.“ „Es sind tolle Frauen“, flüstert Ismail, „aber wir müssen uns vorsehen, daß sie hier niemand aus ihrer Verwandtschaft sieht. Sonst gibt es Ärger.“ Er hält das Messer hoch, mit dem er sein Beefsteak traktiert. Die beiden Damen lächeln höflich. Sie verstehen weder Italienisch noch Deutsch.

„Das Schlimme an der Lage in Albanien ist, daß alle nach Deutschland abhauen wollen“, erklärt mir Ahmed. „Wo soll das hinführen? Die Leute haben das Arbeiten verlernt. Glaubst du im Ernst, die kommen zurück, wenn die Fabriken wieder aufmachen? Für diesen Lohn? Höchstens die Frauen, die können nicht anders.“ Er deutet auf einen schüchternen jungen Mann an seiner rechten Seite, der das spendierte Essen nicht anrührt. „Das ist Mehmed. Er will auch unbedingt zu euch. Über die Grenze nach Kosovo, dann nach Zagreb, immer weiter Richtung Norden bis nach München. Aber dann wird's schwierig.“ Er zeigt seine Arbeitserlaubnis im Paß. Sie weist ihn als Kontingentflüchtling aus. 1990 herrschte noch die Diktatur in Albanien, gestern hat der Demokrat Sali Berisha die Wahlen gewonnen. Pech für Mehmed.

„Die Italiener“, sagt Ismail, „geben uns das Brot, aber eigentlich mögen wir sie nicht. Sie helfen uns nur halbherzig — und das auch nur, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen — wegen Bari und Brindisi. Es sind Schwätzer. Bei euch ist das anders. Ordnung und Disziplin. Ich ackere an drei von vier Wochenenden, aber schließlich hatten wir in Albanien auch die Sechs-Tage- Woche, und am Sonntag liefen die freiwilligen Arbeitseinsätze. Ihr seid kalt, aber großzügig. Nie werden wir es den Kommunisten verzeihen, daß sie euren Franz Josef Strauß abblitzen ließen, als er vor zehn Jahren den Vier-Milliarden-Kredit anbot. Wir liebten ihn, wir lieben euch. Trinken wir auf sein Andenken!“

Im Hintergrund dudelt das Radio. „I want freedom“, fordert irgendein Popstar. „Das Lied gefällt mir“, sagt Ahmed, „wie heißt es auf deutsch?“ „Ich will Freiheit“, übersetze ich. „Verstehe ich nicht“, meint Ahmed. Ich sag' es Ismail auf italienisch. Der versteht und übersetzt es Ahmed in die Muttersprache. „Vielen Dank“, sagt Ahmed, „schon wieder eine neue Vokabel gelernt.“ Christian Semler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen