DURCHS DRÖHNLAND
: Deutschsoul, Düsterrock, Gitarrenquälereien und und und...

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der Woche

Damals, 1968, begann alles gar nicht so unheilverkündend. Pictures of Matchstick Men war ein netter kleiner Song, harmlose Babypsychedelia. Allerdings hatten Status Quo ihren Namen nicht zu Unrecht gewählt. Als sie einmal zu ihrem Boogie-Rock gefunden hatten, blieben sie auch gnadenlos dabei. Irgendwann hörte sich alles an wie Rockin'All Over The World, und damit verkauften sie in nun 25 Jahren über 100 Millionen Platten. Man sollte meinen, daß die Herren Parfitt und Rossi nun endlich genug verdient haben, um sich zur Ruhe zu setzen (oder Rick Parfitt wenigstens einen neuen Friseur verpassen zu können), aber es steht wohl zu befürchten, daß er noch zum 50jährigen der Band die Beulen über den Ohren trägt.

Am 3.4. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108-114, Kreuzberg

In Hamburg findet im Moment ohne Zweifel das Interessanteste an deutscher Popmusik statt. Das liegt hauptsächlich an den beiden Labels »What's So Funny About« und »L'age d'or«. Sowohl Die Sterne als auch Die Allwissende Billardkugel machen deutsche Texte und sind trotzdem tanzbar; und obwohl die Sänger kantige Worte hervorquetschen, sind sie melodiös. Vor allem Die Sterne sollten in der Lage sein, demnächst die »Deutsche Hitparade« zu frequentieren, weil sie grooven, als wären sie am liebsten eine Soulband. Soul mit deutschen Texten, kann das gehen? Es geht! Aber Die Sterne bringen auch auf den Punkt, was andere sich nicht eingestehen wollen: »Reich sein ohne Rassismus, wie soll das gehen? Keine leichte Entscheidung, mein fettes Baby«. Die Billardkugel ist im Gegensatz dazu verquerer, außerdem haben sie die fieseren Texte. Sie berichten über die Romantik eines Verbrecherpärchens, die Fernsehsucht oder den Sensationsjournalismus (»Unten auf der Straße sammelt sich die Menge/ Und ihr zersplitterter Körper liegt mitten im Gedränge/ Das Wichtigste ist das, was niemand von ihnen erkennt/ Der Fetzen in ihrer Hand ist ein Fetzen von meinem Hemd«). Ihre Musik hoppelt und stolpert manchmal, aber verliert nie den Pop-Anspruch. Bei ihnen spielt schon mal Tom Liwa von den Flowerpornoes die Gitarre; damit ist die Stoßrichtung klar.

Am 4.4. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg

Sachsen hat es nicht nötig, hinter Hamburg zurückzustehen. Die Freunde der Italienischen Oper spielen einen klassischen, vorwärtstreibenden Düsterrock, der alle Sentimentalität der Sisters of Mercy oder von The Mission abgelegt hat. Das kommt so konzentriert, wie ich es in Deutschland noch nie gehört habe. Bei DFDIO ist der Dark Wave eher Punk oder Hardrock denn Wave — und nie war ein Bandname irreführender. Live warten die Freunde nit einer ausgeklügelten Bühnenshow und Filmprojektionen zu jedem Stück auf. Aber in die Oper gehen sie angeblich nur, wenn es dort Freibier gibt. Also nie.

Am 3.4. und 4.4. um 22 Uhr im Tacheles, Oranienburger Straße 53-56, Mitte

Heute — an dieser Stelle ja eher ungewöhnlich — auch mal ein Tip für unsere Freunde mit den Birkenstöckern an den Füßen. Dieselben werden am liebsten zu der Musik von Alberto Oliveira wach. Zu der sanften Melange aus Bossa Nova und Samba mit dezenten Funk- und Blues-Einsprengseln lassen sich ganz vorzüglich die klobigen Geräte über den Boden schieben. Auch wer nur das selbstgestrickte Käppi abnehmen und die Lauscher aufstellen möchte, ist bei Alberto gut bedient: Seine brasilianische Dance-Mischung beinhaltet auch ausführliche Ausflüge in den Cool Jazz.

Am 4.4. um 20.30 Uhr im Statthaus Böcklerpark, Prinzenstraße 1, Kreuzberg

Eigentlich schade, daß wahrscheinlich kein einziger originaler Led-Zeppelin-Fan den Weg zu Monster Magnet finden wird. Die wären wahrscheinlich auch ziemlich geschockt, schon durch die Tatsache, daß es heutzutage noch solche Drogenesser gibt. Für uns Jüngere modernisieren Monster Magnet das WahWah-Gedröhn, die ellenlangen Gitarrensoli und das für psychedelisch gehaltene Gekreische gerade mal so weit, daß man ihnen die ehrliche Verehrung für die Siebziger abnimmt. Monster Magnet sind mit Sicherheit das zäheste, langatmigste, nervenzerrüttendste, langfetthaarigste, drogenfressengutfindendste Soundgebirge, das es im Moment im Angebot gibt. Alte Männer, die kleine Jungs spielen, die keine kleinen Jungs mehr sein wollen. Und dabei taumeln sie so erbarmungslos durch ihre Gitarrenquälereien, als wollten sie sagen: »Legalize it, wir nehmen eh andere Sachen.« Amerikas Beitrag zur hier stattfindenden Diskussion um die weichen Drogen.

Am 5.4. um 20 Uhr mit Eggmen 5 im Huxley's Jr.

Die internationalen Tanzböden waren in den letzten Jahren so eindeutig von HipHop auf der einen und House/Techno etc. auf der anderen Seite dominiert, daß eine Band wie die Brand New Heavies alle erdenklichen Schwierigkeiten hatte und ihren eingängigen Rhythm & Soul auf einem Independent Label veröffentlichen mußte. Nun sind sie zwar doch noch da gelandet, wo sie eigentlich von vornherein hingehörten — bei der Industrie; aber es bleibt abzuwarten, ob die Sohlenstrapazierer dieses Planeten sich mit dem Weichspülpop der Brand New Heavies anfreunden werden können. Bei ihnen funkt die Gitarre, blöken die Bläser und stompt das Schlagzeug so gemütlich wie in den seligen Siebzigern, wenn auch der Sound durch die Produktion leicht modernisiert ist. Dazu croont Sängerin N'Dea Davenport, die zuvor bei Madonna und Tone Loc den Background bestritt, hauptsächlich friedlich und gedämpft. Manchmal schleicht sich auch der scheue Versuch von Scat-Gesang ein, aber eigentlich sind die Brand New Heavies nur Dutzendware — oder wären es in den Siebzigern zumindest gewesen. Händchenhaltende Päarchen sind herzlich willkommen.

Am 5.4. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg

Auch die Franzosen haben den Death Metal entdeckt. No Return ließen ihre letzte Platte Contamination Rises von Tom Morris in den Morrisound Studios in Tampa, Florida, produzieren; dort könnten auch die Pet Shop Boys aufnehmen und kämen als Death-Metal-Band wieder raus. Morris, sein Kumpel Scott Burns und ihr Studio waren und sind wesentlich dafür verantwortlich, daß Death Metal einen einheitlichen Sound hervorbrachte. No Return entwickelten sich vom Trash Metal hin zum Death, und das, obwohl Sänger Philippe Ordon selbst keinen Death mehr hören kann: »Ich höre mir fast jede Platte an, die erscheint; inzwischen kommt es mir vor, als würde ich immer das gleiche Stück hören. Seitdem ich aus Florida zurück bin, habe ich überhaupt keinen Death Metal mehr gehört, weil ich mich überfüttert fühle.« Aber dann welchen spielen. Das tun No Return versiert und durchaus eigen, wobei die technischen Fertigkeiten immer mehr im Vordergrund zu stehen scheinen. Die Gitarren übernehmen hauptsächlich Rhythmusarbeit, von wenigen Melodielinien abgesehen, Soli sind sehr reduziert. Ordon singt sogar manchmal, ansatzweise, erreicht aber bei den üblichen Death- Lauten nicht die brutale Genialität zum Beispiel des Benediction-Sängers.

Am 8.4. mit DVC und Protector um 20 Uhr im Huxley's Junior

Früher einmal waren M. Walking On The Water eine verquere, krude Folkband, die sich nicht scheute, ihren Schunkelrock mit wildem Gitarrenlärm oder exzessivem Getobe so zu verfremden, daß selbst Pogues-Fans der ersten Stunden ihre Schwierigkeiten bekamen. Doch dann kam der Wechsel zur Industrie, der in letzter Zeit zwar kaum einer Band geschadet hat, aber bei M. Walking On The Water einen Wechsel zum Wohlklang nach sich zog. Das Pferd, auf das sie setzten, kam bisher nicht so richtig zum Laufen und schon gar nicht ins Ziel; und deshalb versuchen sie es immer weiter und weiter, auch auf der neuen Platte Wood, wo sich allerdings doch hin und wieder der eine oder andere verzerrte verstärkte Ton schüchtern im Hintergrund tummelt. Das hilft ihnen auch nicht — schade eigentlich, aber live waren sie trotzdem immer für einen versoffenen Abend mit Freunden gut.

Am 8.4. um 20.30 Uhr im Loft

Als der Punk sich Mitte der Achtziger endgültig totgelaufen hatte, fingen ein paar Verrückte an, Bands aus versunkenen Dekaden auszugraben, von denen sie glaubten, daß sie damals schon Punks waren. Zuerst stießen sie auf das Naheliegenste: Stooges, MC5 und ähnliche. Im Anschluß enstanden Sampler wie Texas Punk Groups from the 60ies oder die Back from the Grave-Serie. Diese Platten waren meist Singles-Compilation von Bands, die es selten zu mehr als dieser einen Single gebracht hatten. Dabei spielten die meisten der so entdeckten Bands eigentlich nur einen etwas rüderen Sixties- Sound, der auf aufnahmetechnische Unzulänglichkeiten zurückzuführen war. Komischerweise begannen dann unheimlich viele Bands, wiederum diesen Sound zu imitieren. Die Miracle Workers oder die Fuzztones gelangten so zu mittelschwerem Ruhm. Auch die Cynics aus Pittsburgh begannen so. Platten hießen dann schlicht und ergreifend Rock'n'Roll. Gitarrist Gregg Kostelich arbeitete in einem Plattenladen und hatte daher beste Voraussetzungen, Bands zu finden, die keiner kennt. Die Cynics coverten sie dann. Inzwischen haben sie sich allerdings von ihrem ultracoolen, fast schon reduzierten Stil entfernt und sich mehr dem klassischen Rock'n‘Roll genähert. Ihr neuestes Werk Learn to Lose ist für ihre Verhältnisse fast schon fröhlich und enthusiastisch, aber trotzdem immer noch das Beste an Garagenrock, was es heutzutage gibt. Ob so was nötig ist, ist wieder eine ganz andere Frage.

Am 9.4. um 20 Uhr mit Bates und Hawks im Huxley's Junior Thomas Winkler