: Der Ödipus von Sanssouci
■ Viel Wind und Staub um eine 1993 geplante Sophokles-Aufführung am Potsdamer Schloß
Eine Hamburgerin und ein Hamburger haben sich ein feines Geschenk für die 1000-Jahr- Feier der Stadt Potsdam im Jahre 1993 ausgedacht: Die Schauspielerin Christiane Zeiske und der Kaufmann Tobias Klose würden gerne auf dem Areal der Communs, vis-à-vis dem Neuen Palais in Sanssouci, den Ödipus des Sophokles inszenieren. »Wir wollen das klassische Theater einem breiten Publikum nahebringen«, sagte Christiane Zeiske anläßlich eines Pressetermins im Neuen Palais.
Die beiden Hamburger sind wohl selbst nicht so ganz von der Attraktivität des Ödipus überzeugt; denn die Tragödie des Herrschers von Theben soll mit einem Spektakel vermengt werden, einem »fröhlich-ausschweifenden Rokokofest des Herrschers von Preußen«.
Man stelle sich das einmal bildlich vor: zweihundert Statisten, in Kostümen des Urpotsdamers Wolfgang Joop, lustwandeln in den hochherrschaftlichen Gängen des Palais; Voltaire und Friedrich plaudern und musizieren an einer festlich gedeckten Tafel, und plötzlich reißt sich der König den Dreispitz vom Haupt und mutiert öffentlich zum Ödipus. Warum eigentlich nicht, schließlich gibt es noch ganz andere Verrücktheiten in der Theaterszene.
Frau Zeiske hat jedoch wenig mehr als diese nette Idee anzubieten, denn darüber hinaus gilt: nichts Genaues weiß man nicht. Die Finanzierung von vierhunderttausend DM für die geplanten zehn Aufführungen steht in den Sternen. »Es gibt Verhandlungen mit dem Land Brandenburg, aber deren Kulturetat steht noch nicht fest«, klagt Frau Zeiske. Sie ist dennoch hoffnungsfroh, daß die Potsdamer das Theaterprojekt mittragen. Auch von den fünf SchauspielerInnen für den Ödipus ist nur eines bekannt: Frau Zeiske will den Part des Chorführers übernehmen. Peter Kuiper hat noch Interesse angemeldet, aber die Hauptrolle Friedrich/Ödipus soll ein ganz Großer bekommen — wer, das wurde verschwiegen, man steht angeblich noch in Verhandlungen.
Genauso nebulös sind sowohl der Ort als auch der Zeitpunkt der Proben. Sie sollen in Wien, Hamburg und Berlin stattfinden — man verhandelt halt noch. Prolog und Epilog des Ödipus wird (wahrscheinlich) der Philologe Walter Jens schreiben, die Texte könnten eventuell Anfang 1993 vorliegen...
Die Dionysen ‘93 — es ist gar eine Trilogie mit dem Abschluß »Ödipus auf Kolonos« im Jahre 1995 geplant — sind Hirngespinste einer selbstbewußten Schauspielerin und eines hamburgischen Kaffeerösterei-Managers, die ihren Erfolg nach dem Motto suchen: erst einmal viel Staub aufwirbeln, das weitere wird sich schon finden. Ob sich am 15. Juli 1993 vor tausendfünfhundert Zuschauern auf dem Platz der Communs jemals der Vorhang heben wird, hängt nicht zuletzt davon ab, wieviel Geld von privaten Investoren bereitgestellt wird. Um die zu gewinnen, bräuchte das Hamburger Duo allerdings ein klares Konzept — keine Luftschlösser für Sanssouci. we
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