: Spezialisten auf der Parkbank
Deutsche Erstaufführung von David Mamets „Enten Variationen“ in Mainz ■ Von Jürgen Berger
Lassen wir die Fragen offen, ob Konrad Lorenz uns tatsächlich etwas über das Sozialverhalten der Tiere erzählen wollte und ob wissenschaftliche Akribie letzlich doch nichts anderes hervorbringt als das naive Schwärmen über den Blaureiher in der Abendsonne. Wenden wir uns der weitaus interessanteren Frage zu, ob die Taube tatsächlich ein edleres Geschöpf ist als die Ente, eine Frage, die bis heute nicht beantwortet wurde — weder durch wissenschaftliche Feldforschungen noch durch David Mamets Stück Enten Variationen, in dem zwei alte Männer auf einer Parkbank sitzen und sich als dilletierende Spezialisten in Vermutungen über die Ente an sich verlieren. Man sitzt nun einmal zusammen, Tag für Tag, warum also nicht über die Gesetze des Lebens unter besonderer Berücksichtigung der Ente und unter Auslassung des Paarungsverhaltens domestizierter Enten reden?
Eigentlich müßten sie dasitzen, als hätten sie es sich seit Urzeiten auf der Parkbank bequem gemacht. Wenn in Mainz aber die Lichter für die deutsche Erstaufführung des frühen Mamet-Stückes angehen, sitzt überraschenderweise nur George da. Emil schwänzt, kommt dann aber doch, sieht hoffnungsfroh zur Parkbank und sinkt plötzlich in sich zusammen, als habe ihm jemand einen Schlag in die Magengrube versetzt. Verständlich, denn George blickte strafend auf die Uhr. Wer sie kennt, diese kurzen strafenden Blicke, der weiß, daß sie Magengeschwüre hervorrufen können. Es ist ein kurzes Vorspiel zu den dreizehn Kurzvariationen über das Ententhema, vom jungen Regisseur Peter Hailer so geschickt in Szene gesetzt, daß man die beiden Entenspezialisten schon nach diesen ersten Gesten zu kennen meint. Emil wird sich auch heute wieder mühen, von George anerkannt zu werden. George wird ihn wieder zappeln lassen, Noten verteilen und gelegentlich seine Hand auf Emils Oberschenkel legen, worauf diesem der Schamschweiß ausbrechen wird. Trotzdem. Vor Überraschungen ist man nie sicher. Oder hätte man es sich tatsächlich träumen lassen, daß Emil aufbegehren und auf einer seiner Vermutungen über Enten beharren könnte? Georges väterliche Fassade fällt zwar nicht, aber der Entendiskurs erfährt eine Wendung ins Existentielle, was Winfried Küppers (Emil) und Jo Kärn (George) dezent andeuten, als würden sie sich kurz ausruhen, um sich gleich wieder auf die Enten zu stürzen.
Geschrieben wurden die Enten Variationen Anfang der 70er Jahre, lange bevor David Mamet mit Hanglage Meerblick bei uns bekannt wurde und lange vor seinem Drehbuch zu Bob Rafaelsons Wenn der Postmann zweimal klingelt. Daß es erst jetzt bei uns auf die Bühne kommt, liegt daran, daß bisher keine Übersetzung des Stücks vorlag, mit dem der inzwischen zu Broadwayruhm gelangte Autor erkundet, wie weit er seine Sprachspiele in dadaistische Gefilde treiben kann. Auf der Bühne funktioniert sein Stück nur, wenn es wie in Mainz exakt und mit Gefühl für Rhythmus inszeniert wird — nicht zuletzt deshalb, weil auch David Mamet aus der wichtigsten Sprachquelle der klassischen Moderne schöpft und sich zumindest in den Enten Variationen bei Beckett anlehnte und dessen kreisende Sprachspiele genau studierte.
Regisseur Peter Hailer arbeitete in der Berliner freien Szene, bevor er als Regieassistent nach Mainz und zu Anna Badora ging, die seit Anfang der Spielzeit dort das Schauspiel leitet. Enten Variationen ist seine erste Regie auf dem glatten Parkett der Stadt- und Staatstheater; daß sie ohne Ausrutscher über die Bühne ging, hat viel mit dem Mainzer Schauspielfrühling zu tun, also damit, daß die Fahrt in die konservativ-karnevalistische ZDF-Stadt inzwischen zur Theatermärchenreise geworden ist. Anna Badora, so heißt es, habe die Theaterprovinz wachgeküßt. Daß sich in Mainz tatsächlich etwas tut, sieht man nicht zuletzt daran, daß Peter Hailer gleich zwei Schauspieler wie Winfried Küppers und Jo Kärn zur Verfügung standen, obwohl man nicht mit den Ehren einer deutschen Erstaufführung rechnen konnte. Die Rechte für das Stück lagen in Karlsruhe, wo die deutsche Erstaufführung einen Tag vor der Mainzer Premiere sein sollte. Dann wurden die Karlsruher aber plötzlich von einem der Krankheitsfälle heimgesucht, die immer dann in die Ensembles einzufallen scheinen, wenn eine Inszenierung auf der Kippe steht. Die Enten Variationen landeten also in Mainz: gut so.
David Mamet: Enten Variationen. Regie: Peter Hailer. Ausstattung: Klaus Baumeister. Mit: Winfried Küppers, Jo Kärn. Staatstheater Mainz. Weitere Vorstellungen: 3., 10., 11., 15., 24., 25. und 30.April.
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