: Bulldozer in vergifteter Atmosphäre
■ Europacup der Pokalsieger: Im Flaschen- und Münzenhagel verlor Werder Bremen das Halbfinal-Hinspiel beim FC Brügge mit 0:1/ Mirko Votava und Torwart Oliver Reck verletzt
Berlin (taz) — Auf längere Sicht sein letztes Heimspiel auf internationaler Ebene dürfte der FC Brügge bestritten haben. Im engen, mit 22.000 Zuschauern restlos ausverkauften Olympiastadion, unter dessen Rasen sich vorsichtshalber mehr als hundert Gefängniszellen befinden, herrschten beim Europacup-Halbfinale der Pokalsieger zwischen den Gastgebern und Werder Bremen besonders nach Meinung der wenig glimpflich behandelten Gäste von der Weser „skandalöse Zustände“.
Zwar waren die angereisten Werder-Anhänger vom Ordnungsdienst ihrer sämtlichen Fahnen beraubt worden und mußten ersatzweise Schals und Mützen schwenken, was ein wenig kläglich aussah, andere zum Wurfe geeignete Gegenstände entgingen jedoch den Augen der Stadionwächter. „Ich habe selten in einer so vergifteten Atmosphäre gespielt. Wir sind mit Flaschen und Geldmünzen beworfen worden“, sagte Bremens Coach Otto Rehhagel. Der UEFA-Beobachter Augusto-Lamo Castillo sammelte eifrig Flaschen, Steine, Feuerzeuge, mit Sand gefüllte Dosen, Eisenkügelchen und Geldmünzen ein, den Brüggern stehen nun drakonische Strafen der UEFA ins Haus, mit einer Platzsperre wären sie noch gut bedient.
Rein sportlich schufen sie sich mit dem tückischen Ergebnis von 1:0 eine gute Ausgangsposition für das Rückspiel. Das erklärte Ziel der Bremer, ohne Gegentor davonzukommen, war schon nach fünf Minuten passé. „Werder ist keine große Nummer, wir werden sie rauswerfen“, hatte der niederländische Stürmer Foeke Booy vorher angekündigt, und entsprechend rasant begannen die Belgier. Sie inszenierten klare, gefährliche Angriffe, und die beiden Sturmspitzen Booy und Amokachi ließen ihre Gegenspieler Borowka und Otten extrem schlecht aussehen. Ein langer Paß des listigen Nationalspielers Franky van der Elst kam auf die linke Seite zu Vital Borkelmans, der flankte gefühlvoll in die Mitte, Booy verpaßte knapp mit dem Kopf, aber der bullige Nigerianer Daniel Amokachi, wegen seiner energischen Spielweise mit dem Kosenamen „Bulldozer“ bedacht, spitzelte den Ball mit einer gelenkgefährdenden Fußdrehung an Torwart Oliver Reck vorbei über die Linie.
Kurz darauf stand Booy mutterseelenallein vor dem Bremer Keeper, ein Debakel schien sich anzubahnen, doch der blonde Stürmer schoß Reck an, was ihn dermaßen deprimierte, daß er fortan nicht mehr groß auffiel. Der Druck auf die Bremer Abwehr nahm ab, und nach einer Viertelstunde deutete ein Kopfball von Bode, der knapp vorbeiging, an, daß Werder ins Spiel gefunden hatte. Das vielbeschworene Auswärtstor wollte jedoch nicht gelingen, obwohl die Abwehr um Libero Querter und das schwerfällige Ronald-Koeman- Duplikat Plovie gelegentliche Anfälle von Wackligkeit erlitt. Die besten Gelegenheiten hatten in der zweiten Halbzeit Frank Neubarth, der an einer flachen Eingabe Rufers einfach vorbeistakste, und Thorsten Legat. Sein Schuß verfehlte den linken Pfosten um Haaresbreite. Und zwar auf der falschen Seite.
Auf der Gegenseite sorgte Amokachi immer wieder für Panik in der Bremer Abwehr, und Otten hatte Glück, daß ihn der schiedsrichternde Tankwart Spassow aus Bulgarien glimpflich davonkommen ließ, als er den 19jährigen Nigerianer an der Strafraumgrenze unfair stoppte. Am Schluß stand die Bremer Abwehr immer sicherer, obwohl Reck, der sich bei einem Zusammenprall mit Amokachi einen Muskelfaserriß im Schultergelenk zugezogen hatte, und Mirko Votava (ebenfalls Muskelfaserriß) ausgewechselt werden mußten. Es blieb beim 0:1.
„Ich bin enttäuscht. Trotzdem fahren wir nicht chancenlos zu den Deutschen“, trotzte Brügge-Coach Hugo Broos nach dem Schlußpfiff. „Dieses Resultat läßt für das Rückspiel alles offen“, gab sich auch Otto Rehhagel optimistisch, Sorgen dürfte ihm allerdings die große Harmlosigkeit seines Angriffs bereiten. Schließlich braucht Bremen in zwei Wochen ein 2:0, um zum Finale nach Lissabon reisen zu dürfen. Die potentiellen Gegner der Werderaner, AS Monaco und Feyenoord Rotterdam trennten sich im monegassischen Fürstentum 1:1. Matti
Werder Bremen: Reck (68. Rollmann) - Bratseth - Borowka, Otten - Bockenfeld, Wolter, Votava (76. Schaaf), Neubarth, Legat - Rufer, Bode
Zuschauer: 22.000; Tor: 1:0 Amokachi (5.)
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