: Rio — der Gipfel für die Umwelt
Das großangelegte Treffen vieler Staatschefs in Brasilien wird mittlerweile selbst offiziell nur noch als teures „Mosaiksteinchen“ der internationalen Umweltpolitik gehandelt/ 125 Milliarden Dollar im Jahr wären nötig, doch dazu sind die Industrieländer des Nordens nicht bereit ■ Von Hermann-Josef Tenhagen
EG-Umweltkommissar Carlos Ripa de Meana hat gerade verkündet, er wolle ohne eine neue EG-weite Energiesteuer nicht zum Gipfel nach Rio fliegen. Der Italiener kämpft an allen Fronten, notfalls auch mit US-Präsident Bush. Bundesentwicklungsminister Karl-Eduard Spranger (CSU) hingegen hat schon entschieden: Er jettet nicht zu der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED). Spranger befindet sich in bester Gesellschaft. Auch der SPD-Abgeordnete Michael Müller, einer der profiliertesten Umweltpolitiker im Bundeshaus, glaubt nicht an einen produktiven Gipfel in Rio. Er wolle kein „Statist im internationalen Klimazirkus“ sein. Deshalb bleibe er lieber zu Hause, um für wirkliche politische Veränderungen wie die „Halbierung der Energienachfrage, Zurückdrängung des Autos, Umstellung auf eine ökologische Landwirtschaft und die Reduzierung der Chloremissionen“ zu arbeiten.
Wild entschlossen, zum Jahrmarkt der Eitelkeiten zu fliegen, ist nach wie vor Regenwald-Kanzler Helmut Kohl, mit ihm rund 100 andere Regierungschefs. Die wichtigste Figur, US-Präsident George Bush, hat das Ticket noch nicht gebucht. Jedenfalls will er sich in Rio auf nichts Konkretes festlegen, was den US-amerikanischen Kohlendioxid-Ausstoß von 19,4 Tonnen pro Kopf (Weltmeister) schnell senken könnte. Derzeit läßt er sich von der politischen Klasse in Washington beknien, in Rio wenigstens Stars and Stripes zu zeigen. Gleichzeitig verspricht der US-Präsident der Autoindustrie und den Autoarbeitern von Detroit aber, er werde keine unrealistischen Umweltpläne unterstützen, die Amerikaner Jobs kosten könnten. Und wie zur Bestätigung dieses Versprechens kündigt Bush Subventionen für Neuwagen und eine Lockerung der Verbrauchsvorschriften für US-Autos an.
Umweltpolitik ohne Entwicklung
Verkommt die seit 1989 groß angekündigte Konferenz von Rio also zum reinen Propaganda-Spektakel? Neun Wochen vor Konferenzbeginn weiß die deutsche Öffentlichkeit kaum etwas über die Inhalte der Konferenz. Das Mammutspektakel aus über 170 Regierungen und rund 35.000 Journalisten, Diplomaten und Lobbyisten firmiert wahlweise als Klimakonferenz oder Umweltkonferenz. Der Begriff Entwicklung kommt in der deutschen Debatte kaum vor, von den Ansprüchen der UNO, die in Rio ein neues dauerhafteres Entwicklungsmodell und „eine neue globale Solidarität“ für den Planeten einläuten wollte, ganz zu schweigen.
Die Nicht-Erwähnung des Entwicklungs-Begriffs verweist auf den Kern des Problems: Die sogenannten entwickelten Staaten des Nordens, die heute 80Prozent der weltweiten Ressourcen verbrauchen, würden mit dem Süden am liebsten nur über Umweltschutz reden. Dazu schleppen die zahlreichen Diplomaten und Regierungsexperten des Nordens immer neue Papiere über den Schutz tropischer Regenwälder, über Artenschutz und saubere Technologien an. Der sogenannte Süden, also zwei Drittel der Weltbevölkerung, der heute knapp 20Prozent aller Energien und Ressourcen verbraucht, will aber nicht über saubere Technologien reden, sondern über Geld fürs Überleben. Alles andere, so die prompte Kritik aus Staaten wie Malaysia, sei nur „Öko-Imperialismus“. Mit Genuß verweisen die Malayen auf das Beispiel Kanada: 120.000 Quadratkilometer Wald würden dort jährlich abgeholzt. Und der nördliche Regenwald schrumpfe immer mehr. Aber wer sage dagegen etwas?
Ohne die grundlegenden Themen „Schuldenstreichung“ und „Armutsbekämpfung“ würden Umweltvereinbarungen auf der Konferenz folgenlos bleiben, warnen Entwicklungsexperten wie Reinhard Hermle vom Hilfswerk „Misereor“ immer wieder. Im Umweltschutz dürften die Länder des Nordens nicht immer nur auf die Zerstörung des Regenwalds zeigen. „Die reichen Länder, die ja die Hauptumweltverschmutzer sind, müssen endlich zeigen, daß sie den zahlreichen globalen Umweltbedrohungen auch im eigenen Land mit konkreten Maßnahmen entgegentreten wollen“, so der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND), Hubert Weinzierl, kürzlich.
Konventionen und Erklärungen
Worum geht es also konkret in Rio? Bei der Konferenz sollen nach den vollmundigen Erklärungen der Politiker und Diplomaten mindestens zwei bindende Konventionen und zwei Erklärungen verabschiedet werden. Geplant sind eine Klima- Konvention und die Konvention über biologische Artenvielfalt. Eine weitere Konvention über den Schutz der Wälder wurde während des Verhandlungsmarathons bereits zu den Akten gelegt. Zudem wollen die anwesenden hundert Staatschefs im Licht der internationalen Öffentlichkeit und im Blitzlichtgewitter der Tausenden von Journalisten eine feierliche Erdcharta unterzeichnen und sich in einer sogenannten Agenda21 auf die groben Züge der Umweltpolitik bis ins 21.Jahrhundert einigen. Das Treffen kostet 400 Millionen Dollar.
In New York rauchten noch bis zu diesem Wochenende die Köpfe der Unterhändler. Seit Anfang März läuft die letzte Verhandlungsrunde zur Vorbereitung der Konferenz, im Diplomatenkauderwelsch kurz „Prep-Com“ genannt. Die Gespräche gehen nur zäh voran, obwohl die Diplomaten die dornigsten Fragen, Klima und biologische Vielfalt, bereits ausgeklammert haben. Zur Klimakonvention will man sich Ende April in New York noch einmal treffen, und auch die biologische Vielfalt soll Ende Mai in Nairobi erneut Gegenstand einer separaten Vorbereitungsrunde sein.
Weil der Norden im Gegensatz zu der vollmundigen UNO-Deklaration überhaupt nicht daran denkt, den eigenen Lebensstil in Frage zustellen, findet ein Streit über neue Entwicklungskonzepte auf der Prepcom nicht mehr statt. Der Süden setzt folgerichtig auf Finanztransfers, um sich entlang der klassischen Pfade zu entwickeln. Auf 125 Milliarden Dollar im Jahr hat das Sekretariat der Konferenz beispielsweise die Kosten für ein wirkungsvolles Agenda21-Programm beziffert. Das sind 70 Milliarden mehr als die heutige gesamte Entwicklungshilfe des Nordens. Daraus sollen direkt umweltpolitische Maßnahmen zur Klimapolitik, Artenvielfalt und Regenwaldschutz genauso wie die Bereitstellung sauberen Trinkwassers und Geld für Bevölkerungspolitik bezahlt werden. Jamsheed Marker, als Vertreter der pakistanischen Regierung einer der lautstärksten Delegierten des Südens, wählt die klassischen Vergleiche: „Warum können 100 Milliarden Dollar für den Golfkrieg ausgegeben werden, aber nicht, um die soziale Zukunft und die der Umwelt des Planeten zu garantieren?“
Die Industrieländer sind bislang gerade einmal bereit, den probeweise eingerichteten globalen Umweltfonds, der zu allem Überfluß noch von der Weltbank verwaltet werden soll, von 1,5 auf knapp sechs Milliarden Dollar pro Jahr aufzustocken. Umweltpolitisch hat man mit der Weltbank sprichwörtlich den Bock zum Gärtner gemacht: Noch im Februar etwa räumte die Weltbank Kongo einen Kredit zur weiteren Abholzung des dortigen Regenwaldes ein.
Wie sehr sich der Norden verschanzt hat, läßt sich an einem einfachen Beispiel ablesen. Nicht einmal das alte UNO-Ziel, 0,7Prozent des Bruttosozialprodukts als Hilfe des reichen Nordens für den Süden bereitzustellen, mögen die Industrieländer auf absehbare Zeit versprechen, konnte Barbara Unmüßig von der Projektstelle der Umweltverbände BUND und DNR in New York beobachten. Derzeit liegt der Durchschnitt zwischen 0,3 und 0,4Prozent. Die Aufstockung auf 0,7Prozent hatten die skandinavischen Verhandlungsteilnehmer vorgeschlagen. In den letzten Tagen der Konferenz unternahmen Mexiko, Venezuela und Kolumbien noch einmal einen an der 0,7-Prozent-Marke orientierten Versuch, der auf Transferleistungen von 110 Milliarden Dollar ab 1998 hinauszielt — bislang allerdings ohne großen Widerhall. Weitreichendere Vorschläge, wie etwa der der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Grüne, aus den Einnahmen einer bundesdeutschen Energiesteuer jährlich Milliarden in den Süden zu pumpen, stehen schon gar nicht zur Debatte. In Ermangelung eines Besseren versucht der Generalsekretär der Konferenz, der Kanadier Maurice Strong, das Eingeständnis, daß tatsächlich mehr Geld ausgegeben werden muß, schon als Erfolg zu verkaufen. Offizielle Sprachregelung ist mittlerweile, die Konferenz als „Mosaiksteinchen“ im Prozeß globalen Umweltschutzes zu präsentieren. Das wird Auswirkungen auf die Vehemenz der Agenda21 haben.
Ein Lernprozeß wie bei der KSZE
Ähnliches bei der Erdcharta: Ursprünglich einmal als Pendant zur Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen gehandelt, haben die Verhandler jetzt Mühe, „in der Formulierung nicht hinter die Ergebnisse der Stockholmer UN-Umweltkonferenz von 1972 zurückzufallen“, so Barbara Unmüßig nach ihrem New-York-Aufenthalt. Vor der abschließenden Verhandlungsrunde lag den Delegierten nicht einmal eine gemeinsame Diskussionsgrundlage für die Charta vor. Unmüßig verspricht sich denn auch wenig Einklagbares und Konkretes von dieser Charta.
Christian Radtke, der die Vorbereitungen der UNCED-Konferenz seit Jahren für das Europäische Institut für Umweltpolitik in Bonn beobachtet, teilt diese Einschätzung. „Charta und Agenda werden letztlich schön und luftig, aber nicht vielsagend.“ Es fehle, bemängelt Radtke, einfach der ökonomische Unterbau. „Es gibt keinen westlichen Paradigmenwechsel in der Umwelt- und Entwicklungspolitik.“ Im Grunde, so Radtke, werde in den gleichen Wachstumskategorien weitergedacht wie vor 20 Jahren. Und die könnten nun wirklich kein Modell für das Überleben der Erde abgeben.
Wenn alles gut läuft in Rio, so hoffen Umweltschützer, könnten zumindest die globalen Umweltfragen kontinuierlich auf der internationalen Tagesordnung erscheinen. UNCED müsse zu einem Prozeß werden, ähnlich der KSZE, heißt es dann, nur mit Beteiligung der Nicht- Regierungs-Organisationen. Doch „ohne gewaltigen gesellschaftlichen Druck“, so Unmüßig fast schon resignierend, werde es nicht gelingen, aus der Konferenz mehr als „ein Festival des Stillstands und der Scheinheiligkeit zu machen“.
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