PORTRÄT
: Endstation für das alte Schlitzohr Andreotti?

Die Neuwahlen in Italien entscheiden auch über das politische Schicksal des mächtigsten Drahtziehers in Rom  ■ Aus Rom Werner Raith

„Natürlich“, die Worte kamen wie immer aus fast zusammengepreßten Lippen heraus, „natürlich wünsche ich mir nicht, daß das Land unregierbar wird.“ Der dürre Satz klang freilich eher so, als sei bereits längst klar, daß nach den Wahlen am kommenden Sonntag und Montag nur ein einziges Ergebnis möglich sei — eben das der Unregierbarkeit. Hinter den ebenfalls zusammengekniffenen Augen blitzte just die Überzeugung hervor: Das, liebe Italiener, ist dann wieder meine Stunde. Wartet nur ab.

Der so in die Zukunft schaut, ist Italiens derzeitiger Ministerpräsident Giulio Andreotti, 73, waschechter Römer, Doktor der Rechte und seit 1944, als er beim Zusammenbruch des Faschismus in die eben gegründete christdemokratische Partei eintrat, danach Mitglied des Verfassungsgebenden Rates wurde, ununterbrochen in entscheidenden politischen Stellen aktiv. 1947 wurde er unter Alcide De Gasperi erstmals Staatssekretär — und das gleich im Amt des Regierungschefs (entsprechend unserem Kanzleramtsminister, dem Oberaufseher über Geheimdienste und Hausintrigen). Seither war er achtmal Staatssekretär, mehr als zwanzigmal Minister in allen wichtigen Ressorts, vom Haushalt über Verteidigung bis zum Außenamt und nun, zum siebten Mal, Regierungschef. Gelingt es Andreotti noch einmal, das Amt des Ministerpräsidenten für einige Monate zu ergattern, hielte er den Rekord auch in diesem Amt.

Das allerdings bemühen sich so ziemlich alle Parteien redlich zu verhindern. Die „Demokratische Partei der Linken“ (PDS), Nachfolgeorganisation der aufgelösten KP, wirbt sogar mit einem Bild des jungen Andreotti und fragt: „Noch immer dieselbe Musik?“ In der eigenen Democrazia cristiana stöhnen nicht nur Nachrücker wie der derzeitige Landwirtschaftsminister Giovanni Goria, den Andreottis Truppen vor drei Jahren nach kurzer Amtszeit als Regierungschef stürzten, unter der Altlast: auch der bläßliche Parteichef Arnaldo Forlani grummelt seit Monaten von „berechtigten Pensionsansprüchen einiger Parteifreunde“ — doch genauer traut er sich das auch nicht zu sagen. Zu oft hat Andreotti seine Qualität als Stehaufmännchen bewiesen, getreu seinem alten Wahlspruch „Die Macht verschleißt nur den, der sie nicht hat“.

Als vor einem Monat der Europaabgeordnete Salvo Lima in Palermo erschossen wurde, zeigte sich Andreotti erstmals in seiner Karriere öffentlich höchst betroffen — weniger wegen der alten Geschichten um Mafia und Dunkelmännertum, in die sein enger Freund und sizilianischer Statthalter Lima und damit auch er, Andreotti, verwickelt war (schließlich hat er schon mehr als zwei Dutzend parlamentarische Untersuchungsausschüsse hinter sich): ihn beunruhigten die Folgen für sein Image als potenter Boss einflußreicher Klientel. Wer seine Leute nicht schützen kann, hat seinen Abstieg unaufhaltsam begonnen, das war auch ihm klar. Das sehnlichst erwünschte Amt des Staatspräsidenten — er wird im Juni gewählt — schien rettungslos verloren.

So kann er derzeit faktisch nur auf eines hoffen: daß eine Situation entsteht, in der weder Newcomer noch umschichtungsverdächtige Kollegen anderer Parteien die Übersicht behalten können — etwa wenn sich die Prognosen bewahrheiten, daß die derzeitige Viererkoalition aus Christ- und Sozialdemokraten, Sozialisten und Liberalen unter die notwendige Mehrheit sinkt und gleichzeitig mehr als zwanzig Parteien (derzeit: zehn) ins Parlament einrücken. Dann sind geübte Intriganten und Fädenspinner mit der Skrupellosigkeit und Durchtriebenheit Andreottis gefragt.

Den letzten Regierungsauftrag, vor knapp drei Jahren, erhielt er, als die Christdemokraten nicht mit dem präpotenten Bettino Craxi fertig wurden, den sie nach dreijähriger Regierungszeit — in Koalition mit der DC — zwar wieder aus dem Amt vertrieben hatten, der aber nun innerhalb der Regierung ständig opponierte. Andreotti brachte Craxi auf Null — mit seiner Methode, sämtliche Angriffe weich abzufedern, Verhandlungen nie für gescheitert zu erklären, Weichen zu stellen, die die anderen viel zu spät entdecken, notfalls über seine Seilschaften in Geheimdienst- und Unterwelt Wirbel veranstalten zu lassen, die von Regierungspannen ablenken.

Für den Fall der Regierungsunfähigkeit hat Andreotti bereits heute entsprechende Köder ausgelegt: dann kann er sich auch vorstellen, mit den ehemaligen Kommunisten von PDS zu regieren. Die wehren solche Umarmung erschrocken ab. Doch Andreotti hat längst über seine Kanäle publik machen lassen, daß er mit PDS-Führern nicht nur Einigungsformeln besprochen hat, sondern auch schon sondierte, wie man dies nach außen verkaufen könnte.

Für alle Fälle hat er Freunde wie Gegner wissen lassen, daß es ja eine bequeme Methode gibt, ihn aus der Tagespolitik loszuwerden — indem man ihn doch noch zum Staatspräsidenten wählt.