: Adidas-Boss als neuer Ghettominister
Pierre Bérégovoys neues Kabinett: die letzte Offensive der Mitterrand-Getreuen/ Eine Übereinkunft mit den Grünen kam nicht zustande/ Dafür schmückt sich Mitterrand mit vielen Frauen ■ Aus Paris A. Smoltczyk
Frankreich hat seinen ersten Turnschuh-Minister: Adidas-Chef Bernard Tapie wurde gestern zum „Minister für die Stadt“ ernannt. Der Milliardär und Fußballpräsident soll für den neuen Premierminister Pierre Bérégovoy die Verelendung der Vorstadtsiedlungen bremsen. Die Ernennung Tapies war eine der wenigen Überraschungen in einer Regierung, die sich zum großen Teil aus Gefolgsleuten von Präsident Mitterrand und Parteichef Laurent Fabius zusammensetzt.
Der Firmenaufkäufer Tapie ist selbst — wie sein Vaterersatz Bérégovoy — in einer Arbeitersiedlung aufgewachsen und meint zu wissen, wie man aus Sozialbunkern mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 50 Prozent funktionierende Gemeinwesen zaubert. Sein Konzept: der Ausbau von Sportanlagen und Ausbildungsstätten. Und die Verführung des Mittelstandes: „Wenn jeder Patron hier fünfzig Jugendliche anstellt — so wie ich es vorgemacht habe —, dann ist es mit der Jugendarbeitslosigkeit in der Region vorbei“, erklärte Tapie während seines Wahlkampfs in Aix.
Als parteiloser Deputierter eines Marseiller Wahlkreises machte „der Kämpfer“ Tapie allerdings nur durch völlige Untätigkeit auf sich aufmerksam.
1990 war er die Wette eingegangen, durch sein Ghetto-Lifting in der Banlieuegemeinde Montfermeil die Front National innerhalb von 18 Monaten unter die Zehn-Prozent-Marke drücken zu können. Letzten Sonntag sammelten die Le Pen-Anhänger noch gut das Doppelte an Stimmen ein.
Nachdem den Grünen ein „Regierungsvertrag“ auf der Basis von fünf Minimalforderungen verweigert worden war, und die Liberalen kein sonderliches Interesse am Regieren zeigten, konnte Bérégovoy seine Ministerliste fast ausnahmslos aus der jungen Mitterrandisten-Garde zusammenstellen. Eine reduzierte Mann/Frauschaft, der bis zu den Parlamentswahlen genau elf Monate bleiben, um die Sozialisten durch PR-trächtige Reformen aus dem Sumpf zu ziehen.
Der auch nach elf Amtsjahren noch populäre Kulturminister Jack Lang wird Staatsminister und darf sich nun zusätzlich noch um die „Nationale Erziehung“ kümmern — um Uni-Reform und Dezentralisierung. Eine Sisyphus-Arbeit, die auf die eigene Abschaffung der Zentralverwaltungs-Erziehung hinausläuft und deshalb noch stets am Widerstand der Korporationen scheiterte. Wird „Jumping“ Jack Lang gelingen, woran selbst ein Gorbatschow sich die Zähne ausbiß?
Um über den Abgang der ersten PremierministerIN hinwegzutrösten, wird Bérégovoys Kabinett weiblicher. 5 der 26 Posten wurden mit Frauen besetzt. Martine Aubry für Arbeit, Elisabeth Guigou für Europäisches, Frédérique Bredin für Jugend und Sport, und die rotgrüne Marie-Noelle Lienemann, als delegierte Ministerin für Wohnungsbau. Ségolène Royal, die 39jährige ENA- Absolventin mit dezidierten Ansichten über neue Mütterlichkeit, wird Nachfolgerin von Umweltminister Brice Lalonde.
Den glücklosen Innenminister Philippe Marchand löst Paul Quilès ab, Mitterrands Wahlkampfleiter von 1981, der sich bisher als Multiminister (Verteidigung, Städtebau, Post) verdient gemacht hat. Außen-, Europa- und Verteidigungsministerium blieben unverändert, um jene Stimmen im Ausland zu beruhigen, die nach dem letzten Wahldebakel schon von einer Unberechenbarkeit Frankreichs gesprochen hatten.
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