: Hände weg von der „Sportschau“!
■ Wertkonservativismus ist in dieser Frage nicht nur erlaubt, sondern obligatorisch
Sportschau bei Sat.1? Das geht nicht! Sportschau ohne Heribert Faßbender, Jörg Wontorra, Adi Furler, Klaus Schwarze? Ausgeschlossen! Und selbst wenn all diese Herren bei Sat.1 anheuern würden, was der Heilige Maegerlein verhindern möge, es ginge trotzdem nicht! Sportschau — das ist Fußball in der ARD, öffentlich- rechtlich, flächendeckend, gnadenlos und zuverlässig wie die Spaziergänge des Immanuel Kant.
Die Sportschau, das liebste Ritual des ballverliebten Deutschen, läßt nur eine Form zu: Nach einer möglichst scheußlichen Fanfare als Ouvertüre erscheint auf dem Bildschirm ein altvertrautes Gesicht, bekannter als die sämtlicher Mitglieder des Regierungskabinetts zusammen. Mit belanglosen Sätzen wird das fiebernde Volk noch ein wenig hingehalten, um die Spannung ins Unermeßliche zu steigern, und dann geht sie ab, die Post: das rollende Rubenbauer-Rrr kündet von der jüngsten Kabarettnummer der Bayern, Pott-Poet Werner Hansch trägt das Flair von biergetränkten Kohlenhalden in die Wohnstuben, und Jörg Wontorra holt sich mit spitzer Vitriolzunge das nächste Hausverbot bei Werder Bremen. Schlag auf Schlag folgt Spiel auf Spiel, keine Zeit für schleppende Diskussionen, langwierige Recherchen über die Berechtigung von Elfmetern und Abseitsstellungen oder gar für die berüchtigten Showelemente. Allenfalls die unsäglichen „zwei Sätze zum Spiel, Olaf Thon“ finden Berücksichtigung, ansonsten regiert das Tor an sich.
Dieses ebenso klare wie karge Konzept ist die Grundlage jenes „Mythos Sportschau“, der seit über 25 Jahren die Konkurrenz von ZDF und Kabel vor Neid ergrünen läßt. Seit dem 3.April 1965, als der DFB endlich die Übertragungsrechte rausgerückt hatte und zum ersten Mal am Samstag nachmittag Bundesligaspiele über die Mattscheibe flimmerten, spielten die Hubertys und Faßbenders in der Sozialisation zumindest des männlichen Teils der Bevölkerung eine ähnlich tragende Rolle wie das Sandmännchen, Professor Flimmrich und Kermit der Frosch.
Für die erwachsene Klientel des getretenen Leders sind Samstage ohne Sportschau so zäh und quälend wie eine fünfstündige Rede des Bundeskanzlers über die Abseitsfalle. Mehr als zehn Millionen Menschen sitzen allsonnabendlich ab sechs gebannt vor der Glotze, quittieren jedes Telefonklingeln, jeden Ansprechversuch mit grimmigem Knurren oder Aufkündigung der Freundschaft — und geben sich ganz der Begutachtung von Steilpässen, Schwalben, Fouls und nicht zuletzt Toren hin.
Nicht einmal die endlos dahinfließenden Monologe des freundlichen Herrn Huberty oder die trockensten Faßbender-Vorträge können den Sportschau-Süchtigen schrecken, denn ihn erfüllt die unumstößliche Gewißheit: Gleich kommt wieder Fußball.
Jeder Versuch, die festgefügte Struktur zu verändern, ist notwendig zum Scheitern verurteilt. Kreativität, Phantasie, Innovationsfreude — so notwendig sie in anderen Bereichen des Fernsehens wären, bei der Sportschau, dem einzigen Bereich des menschlichen Lebens, der Konservativismus rechtfertigt, haben sie nichts verloren. Drum: Hände weg von der Sportschau. Sportschau bei Sat.1? Das geht nicht! Matti Lieske
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