: Klauoma im Holzblock
■ »PGH Glühende Zukunft« im Café Paz: Bilder, Gedichte u.a.
Scherz beiseite: Großer PGH- Brigadeball« stand auf der schönen roten Karte, die den Kulturinteressierten ins »Café Paz« in die Rosenthaler Straße im Bezirk Mitte lockte. Eingeladen hatte die »Glühende Zukunft«, eine zeichnerische Produktionsgenossenschaft, die 1987 von Henning Wagenbreth ins Leben gerufen wurde, eine Zeit lang als Solounternehmen bestand, um sich schließlich bei vier ProduzentInnen einzupendeln.
Henning Wagenbreth, Detlef Beck, Anke Feuchtenberger und Holger Fickelscherer, die zu Wendezeiten für das »Neue Forum«, die »Grünen« und den »Unabhängigen Frauenverband« agitierten, sind inzwischen — und zu Recht — berühmt geworden.
Es kamen viele: zur Ausstellungseröffnung, zum Puppentheater, zum »Sinti Swing Orchester« und zur Lesung der Obdachloseninitiative »Unter Druck«. So viele, daß die neuesten Plakate der KünstlerInnen im Gedränge irgendwie untergingen.
Es war ein schöner Ball. Während sich die einen an den Tischen über »Autosexkassetten« unterhielten, erfreuten sich die anderen an der New Yorker Version von Schneewittchen, die drei PuppenspielerInnen im kleinen Theatersaal aufführten. Sympathisch und bescheiden hatten sich die KünstlerInnen als SchülerInnen der Schauspielschule Ernst Busch in Ost-Berlin vorgestellt und verzauberten mit liebevollen Papprequisiten, die sie hin und her über die kleine Puppenbühne schoben, den Saal. Dieser leerte sich anschließend, um den Zeichnungen der PGH den Raum zu geben, der der Gruppe in den Tages-, Wochen- oder Monatszeitungen notgedrungen-naturgemäß fehlt.
Die Bilder sind großartig. Fickelscherers Zyklus »United Colors of Bennetton« ist vielleicht der klügste und mit seinem schwarzen Strich trockenste Kommentar zum umstrittenen Werbe-Thema. Auf einem großformatigen Bild sieht man beispielsweise die »Klauoma« am Pranger flehen. Ihre Hände stecken im Holzblock. Traurig schaut sie aus. Selbs' schuld, Omma.
Der Welt totalitärer Bennetton- Bilder kann man vielleicht nur noch mit solchen Zeichnungen begegnen. Bennetton würde zwar keine Klauomas am Pranger fotografieren (das ist den Werbestrategen zu altmodisch), jedoch den Fickelscherer- Zyklus sofort und ohne zu zögern aufkaufen. Doch da steht Holger Fickelscherer vor: er würde sowas nie machen.
Die Obdachlosen von der Kulturinitiative »Unter Druck«, die später Gedichte lasen, würde der Bekleidungskonzern aber sicher gerne zu Werbezwecken nutzen. Zumindest diejenigen, die wie Obdachlose aussehen. (Den einen hätte man nicht genommen — der sah zu frischgewaschen aus.) Heinz, Klaus, Holger und die anderen, die meinten, ich solle sie nur beim Vornamen nennen, lasen im Gedränge. Schlechtere, bessere und besonders schöne Gedichte: »Der Willi fragt, was mach ich bloß/ der gute Rat: ein Rubbellos«, »Du läufst und du läufst/ und dein Hunger bleibt groß/ Ja, du, du warst schon als Kind obdachlos«.
Vor einem Jahr, so erzählen sie später (als der Regisseur Bernhard Wind mit großem Medienaufrummel das Theaterstück Untergang inszeniert hatte), wären sie verschaukelt geworden. Während der Regisseur gut an ihnen verdient hat — von 30.000 DM ist die Rede — haben sie keinen Pfennig für die stets ausverkauften Aufführungen bekommen. Der Regisseur hätte sie in allem benutzt, hätte ihre Erfahrungen für sein Stück ausgebeutet, hätte keine Mitsprache gestattet, hätte sie mit leeren Versprechungen hingehalten und sie zunächst »wie Hollywoodstars« behandelt — um sie dann wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen. Zwei Sozialarbeiter, die unentgeltlich mit den Obdachlosen arbeiten, stimmen zu. Wenigstens haben sie sich durch die Theaterarbeit gefunden.
Klaus, Holger, Heinz und ungefähr dreißig andere haben inzwischen einen Verein gegründet und machen weiter mit Lesungen und Theater — selbstbestimmt: denn von randgruppeninteressierten Regisseuren haben sie die Nase voll. (Eine größere Veranstaltung findet am 22. April im Café Paz statt.)
Sie hoffen auf Sponsoren, trinken noch ein Berliner Pilsener und schauen dem genialen »Sinti Swing Orchester« zu, daß gutgelaunt Zigeunerjazz spielte — so lange, bis die Gastgeber von der »PGH Glühende Zukunft« ins Flugzeug nach Paris stiegen, um sich im Goethe-Institut ihre Bilder anzuschauen. Zum krönenden Abschluß fanden sich zwei von ihnen mit je einer Mao-Bibel in der Jackentasche. Die eine war chinesisch, die andere deutsch. Beide sollten heiraten. Detlef Kuhlbrodt
PGH Glühende Zukunft im Café Paz, Kulturhus Mitte, Rosenthaler Straße 51, täglich 18 bis 1 Uhr.
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