: Nachbarn hinter Glas
Die Soap Opera „As The World Turns“ neu auf RTLplus, 9Uhr ■ Von Harald Keller
Irna Phillips war entrüstet. Die Schauspielerin Jane House hatte es gewagt, in einem Broadway-Musical über Lenny Bruce eine Striptease- Tänzerin darzustellen. Nach Irnas Meinung vertrug sich dieser anstößige Auftritt nicht mit Jane Houses Mitwirkung in der Soap Opera As The World Turns. Folglich starb die Figur der Elisabeth Stewart alias Jane House kurz darauf einen unrühmlichen Tod: Sie stolperte beim Treppensteigen und fiel nach oben — mit letalem Ausgang.
Irna Phillips besaß unumschränkte Macht in Oakdale, Illinois, dem Schauplatz von As The World Turns, und bestimmte über Leben und Tod der Serienfiguren.
Die große alte Dame der Soaps hatte 1952 das seit 1937 ausgestrahlte Radioserial The Guiding Light mit Erfolg als TV-Serie etabliert (deutscher Titel: Die Springfield Story, bei RTLplus) und vier Jahre später mit ihrer Schöpfung As The World Turns neue Maßstäbe gesetzt. Die frühen Seifenopern waren 15minütige wortreiche Minidramen, die als bebilderte Hörspiele live über den Sender gingen. Angesichts der bisher gewohnten eintönigen Inszenierungen erschien die von heutiger Warte eher belustigende, nach wie vor recht betuliche Bilddramaturgie von As The World Turns förmlich progressiv, und der behutsame Einsatz kameratechnischer Möglichkeiten wie die Verwendung von Naheinstellungen und Ausblenden wirkte unerhört modern.
Zudem wurden die ein simples Gut/Böse-Schema gewohnten ZuschauerInnen von der Vielschichtigkeit der Serienfiguren zwar in Maßen, aber doch intellektuell beansprucht. Gerade das aber machte As The World Turns besonders reizvoll.
Fast vier Jahrzehnte umfaßt die Oakdale-Chronik bereits, und noch immer ist die Phantasie der Autorenteams nicht erschöpft. Lange Zeit stand die Mehrfamilien-Saga in der Publikumsgunst ganz oben und bekam mit Our Private World 1965 sogar einen — allerdings kurzlebigen— Prime-Time-Ableger.
Hinter den Kulissen herrschte jahrelang ein strenges Regiment. So erhielt die Schauspielerin Rosemary Prinz eine Abmahnung, weil sie in einer Talk-Show fröhlich gelacht und gescherzt hatte. Ein solcher Auftritt vertrug sich nach Meinung des Produzenten nicht mit ihrem Part einer trauernden Witwe. Grundsätzlich waren die SerienschauspielerInnen gehalten, sich in der Öffentlichkeit ihren Rollen gemäß zu verhalten. Die Folge: Zahllose Anekdoten über ZuschauerInnen, die die Handlung der Daily Soap für echt hielten. So saß Eileen Fulton, als Lisa Miller lange vor Joan Collins das Biest der Nation, einst mit ihrem echten Ehemann in einem Restaurant, als eine wütende Passantin auf sie losging, sie der Untreue bezichtigte und dem vermeintlichen Ehebrecher eine Schüssel Salat über den Kopf schüttete.
In einer Episode verschrieben ihr die SerienautorInnen eine Scheinschwangerschaft und die Dialogzeile: „Ich kann mich nicht erinnern, wie das passierte.“ Ein aufmerksamer Zuschauer sandte ihr daraufhin eine Broschüre über Familienplanung mit der lakonischen Notiz: „So ist es passiert.“
RTLplus steigt mit Folgen aus dem Jahre 1988 in die Serie ein. Deutscher Titel: Wie das Leben so spielt.
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