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Die Banker holten eine „schwierige Kuh“ vom Eis

Nach elfstündigem Verhandlungsmarathon war der Tarifkompromiß im Bankgewerbe perfekt/ Der HBV gelang nach wochenlangen Streiks die Verhinderung des „Tarifdiktats“ der Arbeitgeber/ 5,4 Prozent plus Nebenleistungen führen zu unterschiedlicher Gesamtbewertung  ■ Von Martin Kempe

Berlin (taz) — Am Samstag morgen um fünf war der Verhandlungsführer der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG), Gerhard Renner, offenbar schon etwas abgedreht, und so verirrte er sich vor den Fernsehkameras in das Reich der Tierpsychologie. Der Tarifkonflikt bei den Banken sei eine „schwierige Kuh“, meinte er — und nach so einer langen Nacht könne man froh sein, sie „vom Eis bekommen zu haben“. Zu dem elfstündigen Verhandlungsmarathon hatten sich die Tarifparteien des Bankgewerbes in der Nacht von Freitag auf Samstag in dem kleinen Ort Glashütten/Taunus bei Frankfurt in Klausur begeben. Ihr Kompromiß beendete den mehr als zweimonatiger Arbeitskonflikt. Danach erhalten die 430.000 Angestellten der Banken in Westdeutschland 5,4 Prozent mehr Gehalt plus zwei einmaligen Zahlungen von 300 und 350 Mark. Dazu kommen noch einige kleinere Verbesserungen, die die Arbeitgeber wahrscheinlich nichts kosten, aber für die Gewerkschaften die Optik aufbessern: Der Silvestertag soll in Zukunft arbeitsfrei sein, Auszubildende erhalten drei freie Tage für ihre Prüfungsvorbereitungen, Tätigkeitsjahre von Bankangestellten unter 20Jahren werden in Zukunft als Berufsjahre anerkannt. Und schließlich soll eine paritätisch besetzte Kommission über künftige Arbeitszeitmodelle beraten. Die Laufzeit des Vertrages beträgt nicht wie üblich zwölf, sondern 13 Monate. Der Termin für die Tariferhöhung 1993 wird also um einen Monat verzögert. Für die etwa 25.000 Bankangestellten in Ostdeutschland, die derzeit 75 Prozent des Westniveaus erhalten, tritt der Vertrag zum 1.4. 1992 in Kraft.

Das Gesamtvolumen des Abschlusses wurde von den Tarifparteien unterschiedlich beziffert. Während die Arbeitgeber von 5,78 Prozent sprachen, schrieben sich die Gewerkschaften 6,4 Prozent zugute. Damit hätten sie auch für die anderen Branchen ein „brauchbares Datum“ gesetzt, meinte der Verhandlungsführer der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), Hans Georg Stritter, mit Blick auf die laufenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst und in der Metallindustrie. Das Ergebnis liege deutlich über der Preissteigerungsrate. Gerhard Renner von der DAG sprach von einem „Sieg der Tarifautonomie über das Tarifdiktat“ der Arbeitgeber. Die hatten nach der letzten Verhandlungsrunde im Februar einseitig eine Gehaltserhöhung von fünf Prozent in Kraft gesetzt, um den zum Streik mobilisierenden Gewerkschaften den Wind aus den Segeln zu nehmen. Das mißlang, auch wenn zuletzt angesichts der wochenlangen Bewegungslosigkeit der Arbeitgeber Anzeichen von Resignation unter den streikunerfahrenen Bankangestellten sichtbar wurden. Die Gewerkschaften sprachen von rund 144 Streiktagen, an denen sich ungefähr 100.000 Beschäftigte beteiligt hätten. HBV-Sprecher Claus Eilrich gab bekannt, seine Organisation habe etwa zwei Millionen Mark Streikgelder an rund 70.000 streikende Mitglieder ausgezahlt. Außerdem habe die HBV während der Tarifauseinandersetzung rund 4.000 neue Mitglieder aufgenommen.

Der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, Klaus Müller-Gebel, versuchte in seiner Stellungnahme den Beispielcharakter des Abschlusses mit Hinweis auf den „branchenspezifischen Aspekt“, sprich die besonders günstige Gewinnsituation der Institute, abzuschwächen. In seinem Lager würde das Ergebnis nicht „jubelnd“ zu Kenntnis genommen. Es sei aber vertretbar, wenn damit der „soziale Friede“ in der Branche gesichert sei. Die Streiks seien „lästig“ gewesen. Sie hätten „organisatorische Kräfte gebunden“, aber die Arbeitgeber „zu nichts gezwungen“.

Claus Eilrich von der HBV hebt dagegen hervor, daß die gewerkschaftlichen Aktionen zu erheblichen Störungen des Betriebsablaufs und in den Rechenzentren der Banken zu Zinsverlusten in Millionenhöhe geführt hätten. In den nächsten Tagen werden die Tarifparteien den am Wochenende gefundenen Kompromiß in ihren Gremien beraten und, so wird allgemein erwartet, absegnen.

Siehe auch Kommentar Seite 12

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