piwik no script img

Gleiche Uniform bedeutet nicht auch gleiche Polizei

Eineinhalb Jahre nach der Einheit prägen mangelnde Ausbildung, ein altes Berufsverständnis und Überforderung den Alltag der gewendeten Vopos  ■ Aus Dresden Wolfgang Gast

Der Inspekteur der Polizei im Brandenburger Innenministerium, Ulrich Dugas, zeichnet düstere Perspektiven. Lange kann es seiner Meinung nach noch dauern, bis die Polizisten in den neuen Bundesländern, die überwiegend von der Volkspolizei übernommen wurden, ein an Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Toleranz orientiertes „Grundverständnis“ ihres Berufes entwickeln. Eine lange Zeit, „vielleicht eine Generation“, schätzt Dugas, muß noch vergehen, bis eine neue Berufseinstellung „nicht nur Lippenbekenntnis ist, sondern sozusagen von Herzen kommt“.

Nicht zu ändern sei, referierte der zur Jahreswende 90/91 von der Polizeiakademie Hiltrup nach Brandenburg gewechselte Inspekteur vor rund hundert TeilnehmerInnen eines Presseseminars der Polizeigewerkschaft (GdP), daß die Neubundesländer die „öffentliche Sicherheit mit Angehörigen der Deutschen Volkspolizei zu gewährleisten“ haben — zu den Wendepolizisten gebe es keine Alternative. Dafür, daß die Kollegen aus der Ex-DDR nicht so schnell ein neues Berufsverständnis entwickeln konnten, zeigt Dugas Verständnis. Schließlich müsse man berücksichtigen, „daß wesentliche Einstellungsvoraussetzung in die Deutsche Volkspolizei absolute Zuverlässigkeit im Sinne staatlich verordneter Ideologie war“.

Der Personalstand der Volkspolizei ist allein in Brandenburg von früher 20.000 Offizieren auf heute 9.000 Beamte reduziert worden. Von den über 50jährigen haben die meisten von der bis Ende 1990 möglichen Vorruhestandsregelung Gebrauch gemacht. Andere haben ihr Arbeitsverhältnis freiwillig gelöst, indem sie in die freie Wirtschaft, vor allem ins private Sicherheitsgewerbe, abwanderten. Manch einer, urteilt Dugas, „wird diesen Weg gewählt haben, um nicht von der eigenen Vergangenheit eingeholt zu werden“. Etliche Polizisten mußten unfreiwillig gehen, sie galten nach den Personalüberprüfungen als „belastet“. Unabhängig davon wird jeder einzelne Polizist auch noch von der Gauck-Behörde durchleuchtet. Erste Ergebnisse, so Dugas, lassen „eine weitere Personalreduzierung zwischen 10 und 20 Prozent erwarten“. Die Aufgaben der Polizei waren im ersten Arbeiter- und Bauernstaat zweigeteilt. Neben den klassischen Polizeiaufgaben, etwa das Aufklären von Straftaten oder die Einschreitung bei Verkehrsunfällen, hatten die Polizisten vor allem „als Machterhaltungsinstrument des Staates, besser der Partei, zu funktionieren“. Diese Doppelfunktion wird für Inspekteur Dugas beispielhaft durch die früheren „Abschnittsbevollmächtigten“ (ABV) belegt. Ähnlich einem Polizeiposten hatten sie den Kontakt zu den Bürgern zu suchen und diese zu betreuen. Diese ABVs dienten aber gleichzeitig als wesentliches „Ausforschungsorgane. Unterstützt durch freiwillige Helfer hatten sie „antisozialistisches Handeln“ aufzudecken, ideologische Einflüsse des Klassenfeindes zu bekämpfen oder Republikfluchten zu unterbinden. Beleg für die Einbindung der Polizei in den Repressionsapparat ist für Dugas auch, daß im Zusammenhang mit dem (gewalttätigen) Einsatz der Volkspolizei im Herbst 1989 nicht ein einziger Fall bekannt geworden ist, in dem den Befehlen der Gehorsam verweigert wurde.

Fünfzehn Monate nach der deutschen Einheit ist die Polizei der Ex- DDR für Dugas zwar nicht mehr die „alte“, aber auch längst nicht die „gleiche“ wie die in den Altbundesländern. Im Osten Deutschlands wurde die Polizei mit dem Beitritt der DDR am 3. Oktober 1990 „über Nacht mit bundesrepublikanischem Recht überzogen“. Von den Polizisten wurde plötzlich verlangt, Rechtsnormen anzuwenden, auf die der einzelne Polizist nicht vorbereitet war, „die er nicht einmal gelesen hatte“. Nahezu Unmögliches sei ihnen abverlangt worden, „gerichtsfest“ sollten sie Festnahmen, Hausdurchsuchungen oder Verkehrsüberwachungen durchführen. Fortbildungsmaßnahmen werden zwar mit „Hochdruck“ vorangetrieben — heute, eineinhalb Jahre später, wäre es dennoch „geradezu unverschämt, wollte man von einem Polizisten der Neuländer das verlangen, was Anwärter in Altbundesländern in zweieinhalb oder drei Jahren zu lernen haben“. Außer der mangelnden Qualifikation und einem fehlenden neuen Berufsbild werden die ehemaligen Vopos durch neue, früher unbekannte Aufgaben überfordert. Als sogenannte „polizeiliche Großlagen“ kannte die militärisch organisierte Volkspolizei nur den Besuch von Staatsgästen. Einen Großeinsatz löste weiter die Fahndung und Verfolgung desertierter Sowjetsoldaten aus. Demonstrationen, Geiselnahmen oder Entführungen haben die ehemaligen Vopos dagegen nie kennengelernt — dafür war die Stasi zuständig. Den Bürgerprotest auf der Straße lernten die Vopos erst mit der Wende im Herbst 1989 kennen.

Wenn nun heute Fußballfans randalieren, Rechtsextremisten aufmarschieren oder Ausländerheime überfallen werden, dann trifft dies die Polizei der neuen Bundesländer unvorbereitet. „Problematisch“, so das Urteil des Inspekteurs, wird es insbesondere dann, wenn die Polizisten durch „Lageentwicklungen überrascht werden, mit denen sie nicht vertraut und auf die sie nicht vorbereitet sind“. Dann „besteht die Gefahr, daß unangemessen gehandelt wird — entweder durch Überreaktion oder durch Nichtstun“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen