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DIE WIENER BURG

■ Der Streit um den Burg-Direktor beruht auf einem konkreten politischen Kompetenzgerangel

Das Burgtheater gehört zu den erlesensten künstlerischen Kostbarkeiten des großdeutschen Reiches“, tirilierte der Theaterwissenschaftler Heinz Kindermann im Jahre 1939. Nach dem Krieg freilich hieß es dann: „Eine Burg für die Wiener!“ Das forderte die der konservativen ÖVP nahestehende Tageszeitung 'Neues Österreich‘ im Herbst 1954. Damals ging es um den Streit, ob zur Wiedereröffnung des Burgtheaters 1955 — das alte Haus am Ring war 1945 nach einem Bombenangriff ausgebrannt — König Ottokars Glück und Ende oder Goethes Egmont gespielt werden solle. Es siegte Ottokar, Franz Grillparzer, der Österreicher.

Als vom Hof zu unterhaltendes Nationaltheater ist die „Burg“ unter Kaiser JosephII. im Jahre 1776 gegründet worden. „Die Verdrängungsgemeinschaft Österreich“, so attestierte der Burgtheater-Direktor Achim Benning während seiner Amtszeit dem Alpenvolk in einer Festrede, besaß als „Spiegel dieser Verdrängung das Burgtheater — das sich auch in dieser Hinsicht als ,Nationaltheater‘ erwies“. Er bezog sich dabei auf die unmittelbare Nachkriegszeit.

1945 forderten sowjetische Kulturoffiziere wie Miron Lewitas nachdrücklich den möglichst raschen Wiederbeginn des kulturellen Lebens in Wien. Nicht sozialistisches Theater war die Devise, sondern eine konventionelle, traditionelle Wiederaufnahme des Spielbetriebs. Die Frage der Personalauswahl wurde von der sowjetischen Besatzungsmacht fast zur Gänze an österreichische Behörden delegiert. Der erste Direktor nach Kriegsende, der populäre Schauspieler und Antifaschist Raoul Aslan, aber auch der später nachfolgende Südamerika-Emigrant Josef Gielen, galten als integre Figuren. Ihr Umgang mit dem Ensemble allerdings (vor allem was Wiedereinstellung betraf) stand — nicht immer zu Unrecht — im Kreuzfeuer der Kritik.

Jeder Direktionswechsel nach 1945 bietet Beispiele für den Einfluß politischer Rahmenbedingungen auf das Burgtheater. Das Kulturverständnis von ÖVP-Politikern sowie des Finanzministeriums spielten vor allem in der sogenannten Wiederaufbauphase eine wichtige Rolle, wenn es um die Bestellung von Burgtheater-Direktoren ging.

Die Forderung nach einer Burg für die Wiener gilt, wenn auch in abgewandelter Form, bis heute. Vor kurzem wurde sie wieder laut, allzu laut.

Claus Peymann hat nun seinen Vertrag als Burgtheaterdirektor bis 1996 verlängert bekommen. Gegen diese Vertragsverlängerung fand sich eine bemerkenswerte Schar von Gegnern zusammen, die aus der konservativen Presse besteht — allen voran der 'Kronen Zeitung‘ sowie einer statthaften schwarz-blauen Politikerriege. Vor allem Jörg Haiders FPÖ schürte eine besonders aggressive Debatte und brachte schließlich im Parlament einen Mißtrauensantrag gegen den Unterrichtsminister Rudolf Scholten ein, der in der Aussage gipfelte, das Burgtheater, das „Aushängeschild Österreichs“, werde durch Peymann, einen „kulturpolitischen Minusmann“, konsequent „kaputtgemacht“. Der Mißtrauensantrag wurde mehrheitlich abgelehnt.

Der Streit hat ein Muster. Es stammt noch aus der Nachkriegszeit und verstrickt seitdem im wesentlichen den jeweils amtierenden Unterrichtsminister und den jeweils amtierenden Burgtheater-Direktor ins politische Geschehen.

Gerhard Klingenberg, eine Nominierung des ersten SPÖ-Unterrichtsministers nach 1945, hatte unter seiner Direktion erstmals europäische Regie-Stars wie Giorgio Strehler oder Luca Ronconi ins Haus am Ring geholt, wogegen die Fremdsprachengegner und Ausländerfeinde innerhalb und außerhalb des Burg-Ensembles heftig protestierten.

Achim Benning, eine Nominierung des zweiten SPÖ-Unterrichtsministers, hatte das Engagemant interessanter Regisseure von auswärts weiter betrieben mit besonderem Augenmerk auf die DDR. Ihm gelang es, die „Wiener Burg“ ganz in den europäischen Theaterbetrieb zu integrieren.

Der damalige FPÖ-Obmann Friedrich Peter forderte im Frühjahr 1978 im Nationalrat zweimal die Entlassung des Burgtheater-Direktors Achim Benning. Der Deutsche Benning — so lautete die Argumentation — habe „kein Gespür für die österreichische Situation“. Zudem sei er geprägt von einer grundlegend falschen Vorstellung „von der Aufgabe des österreichischen Burgtheaters“.

Claus Peymann, eine Nominierung des dritten SPÖ-Unterrichtsministers, hat die „Burg“ definitiv zu einem „Theater der europäischen Spitzenklasse“ erhoben, wie es der Unterrichtsminister Rudolf Scholten vor kurzem im Parlament zur Unterstützung seiner Entscheidung ausdrückte.

Bei dem Protest geht es um mehr als um die Burg. Die Zornes-Liga tritt an gegen die mythische Burg, nicht gegen die wirkliche, wie es die Kritikerin Sigrid Löffler formulierte. Es geht „um die Burg als reaktionären Mythos, als Hort bildungsbürgerlicher Exklusivititätsansprüche, als Garant einer imaginären österreichischen Größe, als Gralsburg imperialer Sehnsüchte“. Die Burg war in der Vergangenheit immer besser als in der Gegenwart, auch das gehört zum Mythos. „Immer ist die große Zeit des Burgtheaters vorüber, es ist nie, was es einmal gewesen, es ist immer in Verfall, es wird in einem fort zerstört“, wußte Hermann Bahr schon 1920 zu berichten.

Die Verfallsklagen sind so alt wie das Burgtheater selbst. Aber sie nahmen deutlich an Aggressivität zu, als mit dem Beginn der Ära Kreisky die bürgerliche Kultur-Hegemonie über das Unterrichtsministerium — und damit über die Bundestheater — verlorenging. In den Kreisen der ÖVP herrschen kleinbürgerlich-kunstfeindliche Ressentiments: Bitter ist der Machtverlust, daß der SPÖ-Minister den jeweiligen Burg-Herren aussuchen darf. Und das FPÖ-Bekenntnis zur großdeutschen Kulturgemeinschaft schließt einen deutschen Staatsbürger als Burgherrn anscheinend nicht mit ein.

Die Haßwellen gegen den Direktor der „Wiener Burg“ wogen bis in die fernste Provinz, die ja so richtig fern in Österreich nirgendwo gelegen ist. Aber es geht dabei um einen konkreten innnenpolitischen Kompetenzenstreit und nicht nur um die Ausfälligkeiten einer reaktionären Mischpoke von ÖsterreicherInnen. Die Besucherzahlen sinken, die Abonnenten laufen davon, das halbe Ensemble muß seit Jahren spazierengehen, die guten Steuern werden für Schließtage verwendet — so lauten die (üblichen) Vorhaltungen vorrangig jener BürgerInnen, die noch selten ein Theater von innen gesehen haben.

Ebenso mit Einschränkungen gelten die Vorwürfe, die aus dem Hause selbst kommen. Den Technikern sitzt freilich noch Peymanns vor Jahren getätigter Ausspruch tief in der Seele: Er gehe nicht in die Kantine, weil es ihm dort „zu sehr wienere“. Sie grollen und sind sehr nachtragend.

Die Ensemblevertretung — bestehend aus den SchauspielerInnen Klaus Maria Brandauer, Michael Heltau, Susi Nicoletti, Robert Meyer, Franz Morak — trat nach der Nachricht von Peymanns Vertragsverlängerung demonstrativ zurück. Sie wiederholte dabei ihre seit Jahren vorgetragenen Einwände: mehr Schließtage denn je, mehr Gäste denn je, weniger Produktionen, weniger Rollen, Abwanderung von Kern- Besucherschichten. Das Ensemble — das größte im deutschsprachigen Raum — ist vergrämt seit Peymanns Amtsantritt.

Nun erfreute sich die Ensemblevertretung nicht gerade einer großen demokratischen Legitimation. Seit Jahren verlängerte sie — ohne Neuwahlen — das eigene Mandat mangels Kandidaten, die bereit gewesen wären, sich der Wahl zu stellen. Zudem werden den drei Mitgliedern Brandauer, Heltau und Morak Direktoren-Ambitionen nachgesagt — weshalb ihr Protest nicht vom feinsten Stil zeugt.

Und Claus Peymann wußte ja durch den Autor Thomas Bernhard, dem er an allen Spielstätten des Burgtheaters die Tore öffnete, über „Deutschenhaß“ und „Theaterhaß“ in Österreich zur Genüge Bescheid. Und er gab die Botschaft weiter, wie es die Aufgabe eines Theatermannes ist: durch Inszenierungen.

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